Eine geheimnisvolle Lady
fühlte sich wie eine Hure, die ihren Zuhälter empfangen würde. Wie konnte sie Lord Burnley in dieser Verfassung gegenübertreten?
Lautlos öffnete sich die Tür. Der Mann, der an Lauras Arm hereinkam, war nicht der Marquess, sondern Dianas Vater.
22
Während Ashcroft sein ungestilltes Verlangen bekämpfte, beobachtete er Diana. Ihr Gesicht war weiß wie Pergament, von tiefer Scham gezeichnet. Voller Sorge schaute Miss Smith ihre Freundin an.
Er trat vor, um den Neuankömmling anzusprechen. Aber Diana hielt ihn mit einer entschiedenen Geste zurück, die er nicht missverstehen konnte. »Papa«, würgte sie hervor.
Bestürzt erstarrte Ashcroft. Der Argwohn, der stets hinter seiner Begierde gelauert hatte, drängte sich wie eine giftige Schlange vor, bereit zum Angriff.
Mit strenger Miene, auf einen Stock gestützt, wandte sich der alte Mann in die Richtung seiner Tochter. Noch immer trug er seinen Mantel und einen Hut. Er war ordentlich, aber nicht teuer gekleidet. Ashcroft hielt ihn für den Schreiber eines Anwalts oder einen Geschäftsmann von kleinerem Kaliber. Jedenfalls war das kein Vater, der zu seiner prachtvollen, eleganten Geliebten passte. Dieser Mann konnte unmöglich Dianas hochmodische Garderobe, ihr Personal und dieses Haus finanzieren.
Wer zum Teufel tat es dann?
Diana ging zu ihrem Vater und küsste seine faltige Wange. Abwehrend zuckte der alte Mann zusammen, und Ashcroft las tiefen Schmerz in Dianas Augen, als sie sich sekundenlang zu ihm umdrehte. Er hatte das Gefühl, sie würde ihn gar nicht sehen – gedemütigt und krank vor Angst.
Offenbar wünschte sie nicht, dass er das Wort ergriff, und so schwieg er. Zum Glück schaute der alte Mann ihn nicht an. Noch immer erhitzte das unbefriedigte Verlangen Ashcrofts Blut. Und Dianas hektischer Versuch, ihr Äußeres in Ordnung zu bringen, hatte nicht viel bewirkt. Unordentlich hing das Haar auf ihren Rücken hinab.
»Was … was machst du hier, Papa?«, stotterte sie unsicher.
Wie er es hasste, ihren stolzen Geist so gebrochen zu sehen. Normalerweise trat seine Diana der Welt mit hoch erhobenem Haupt entgegen.
Seine Diana?
Verdammt, was stimmte nicht mit ihm? Er fühlte sich desorientiert, als wäre ihm plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Dass sie Geheimnisse hütete, wusste er schon lange. Aber ihre Leidenschaft war ihm stets echt erschienen. Oder bestand die Frau, die sein Bett so eifrig geteilt hatte, nur aus Falschheit?
Heller Zorn verzerrte das Gesicht des alten Mannes und zwang Diana ein paar Schritte zurück. »Diese Frage sollte ich dir stellen, meine Tochter. Seit Wochen erweckst du den Eindruck, du würdest mit Laura bei Lady Kelso wohnen. Aber als ich in ihrem Haus vorsprach, wurde mir mitgeteilt, du seist nicht da. Die Dienstboten kennen gar keine Mrs. Carrick, die vermeintliche Gesellschafterin der Countess.«
Zitternd schlang Diana ihre Finger ineinander. »Tut … mir leid, Papa«, wisperte sie fast unhörbar.
Ohne die Entschuldigung zu beachten, sprach ihr Vater weiter. Seine kultivierte Ausdrucksweise bewog Ashcroft, den gesellschaftlichen Status des Mannes etwas höher einzuschätzen, als es seine Kleidung vermuten ließ. Doch er gehörte keinesfalls der Aristokratie oder dem Landadel an.
»Ich drängte den Kutscher George, mich von Surrey nach London zu bringen. Natürlich hätte der Narr mich sofort hierherfahren sollen. Schließlich wusste er, dass man mich bei den Kelsos wegschicken würde. Anscheinend ist jeder, den ich kenne, in diese Verschwörung verstrickt.«
»Gibt es zu Hause Schwierigkeiten, Papa?« Diana bebte wie ein Schilfrohr im Wind.
Nun nahm das Gesicht des alten Mannes noch strengere Züge an. Ashcroft entdeckte keine Ähnlichkeit zwischen den beiden, abgesehen von der Größe und dem energischen Kinn.
»Sicher sind die Schwierigkeiten eher hier zu finden«, entgegnete der Vater in scharfem Ton. »Nicht wahr, Diana?«
Mit jedem frostigen Wort stürzte er sie in tiefere Verzweiflung. Ratlos trat Ashcroft von einem Fuß auf den anderen, wollte sich einmischen und sie verteidigen. Doch er wusste, es wäre das Letzte, was sie wünschte. Nach einem kurzen angstvollen, flehenden Blick hatte sie ihn nicht mehr angesehen. Für sie schien er nicht zu existieren.
»Papa, ich … ich …« Beklommen verstummte sie.
»Mit gutem Grund stammelst und errötest du, mein Kind«, stieß ihr Vater anklagend hervor und stützte sich noch schwerfälliger auf den Stock. »Wer bezahlt dieses
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