Eine geheimnisvolle Lady
mit seinem Stock auf den Boden. »Stellen Sie sich vor!«
»Tarquin Vale«, sagte Ashcroft und trat vor. Sein sonorer Bariton klang neutral, seine Miene verriet nicht, was er dachte oder empfand.
Jedenfalls wusste er jetzt, dass sie ihn von Anfang an belogen hatte und dass Burnley bei ihrem Täuschungsmanöver eine Rolle spielte. Wegen dieser Verschwörung würde er sie hassen – wenn er auch noch nicht herausgefunden hatte, inwiefern es dabei um ihn ging. In schmerzlichem Protest pochte Dianas Herz immer schneller. Sie wollte Ashcroft anflehen, sie nicht zu verabscheuen. Aber es war zu spät, sich zu rechtfertigen – viel zu spät, um ihn vor tiefer Verzweiflung zu retten.
»Vale?«, fragte ihr Vater erstaunt, ohne seine Missbilligung zu verhehlen. Dann streckte er eine Hand aus, als wollte er die tatsächliche Anwesenheit des Mannes prüfen. Gewiss würde er annehmen, Ashcroft wäre ihr Liebhaber. Wenn er auch kein Augenlicht besaß, sein Gehirn funktionierte ausgezeichnet.
»Papa, das ist der Earl of Ashcroft«, begann sie mit unsicherer Stimme. »Lord Ashcroft, darf ich Ihnen meinen Vater vorstellen? John Dean aus Marsham in Surrey.«
»Ihr Diener.« Wie Mr. Deans eisige Stimme bekundete, hielt er sich keineswegs für einen Diener. »Ich habe schon von Ihnen gehört.«
Unbehaglich bekämpfte Diana den Impuls, ihren Geliebten zu verteidigen. Welchen Sinn hätte das? Nach diesem Tag würde ihr Vater nie mehr glauben, was sie ihm erzählte.
»Erfreut, Sie kennenzulernen, Mr. Dean. Ich habe Miss Smith und Mrs. Carrick besucht, um über antike Kunstwerke zu diskutieren. Ich wurde mit den Damen im British Museum bekannt. Dabei entdeckten wir ein gemeinsames Interesse am alten Ägypten.« Ashcrofts Lächeln wirkte aalglatt. Nun verbarg sich sein attraktives Gesicht hinter einer urbanen Maske, die Diana nicht durchdringen konnte.
Nicht einmal der dümmste Untertan des englischen Königs würde diese Geschichte glauben. Warum versuchte er, sie zu schützen, obwohl er sie verdammen musste?
»Gerade wollte Lord Ashcroft sich verabschieden«, warf sie hastig ein.
Die Arme vor der breiten Brust verschränkt, lehnte Ashcroft sich an den wackeligen Schreibtisch, musterte sie unter erhobenen Brauen und lächelte sardonisch. Wie herzzerreißend vertraut die Pose war … Auf diese Art pflegte er zu demonstrieren, er habe einen Entschluss gefasst und nicht die Absicht, sich anders zu besinnen. Deshalb würde er kein Aufhebens machen, sondern die Situation einfach nur überstehen, ohne klein beizugeben. »Ich habe heute Abend keine anderen Verpflichtungen, Mrs. Carrick. Wenn ich mich recht entsinne, erwähnte ich das bereits, als Sie mich einluden, mit Ihnen und der charmanten Miss Smith zu dinieren.«
Die charmante Miss Smith warf ihm einen vernichtenden Blick zu, und Diana knirschte mit den Zähnen. Nur mühsam unterdrückte sie ein ärgerliches Stöhnen. Offenbar wollte Ashcroft sie in Schwierigkeiten bringen. »Für ein Dinner fehlt uns die Zeit, weil wir mit meinem Vater aufs Land zurückkehren.«
»Ich glaube, Sie sollten jetzt gehen, Mylord«, bemerkte ihr Vater in jenem Ton, den er anschlug, um Streitigkeiten zwischen den Farmarbeitern zu schlichten. Bewundernswert, diese Courage, dachte sie. Immerhin war er nur ein einfacher Gutsverwalter und der Earl of Ashcroft ein mächtiger Aristokrat.
Wie üblich hielt John Dean an seinen Prinzipien fest, ohne Rücksicht auf den Preis, den er womöglich dafür zahlen musste. Umso zorniger würde er sie verachten, wenn er jemals die ganze Geschichte der Verschwörung erfuhr.
Großer Gott, nach diesem Abend verachtete er sie ohnehin. Dass der Zweck alle Mittel heiligte, hatte er stets energisch bestritten. Und Dianas bittere Erfahrungen gaben ihm recht.
»Eigentlich hatte ich gehofft, noch ein wenig mit Mrs. Carrick plaudern zu können«, verkündete Ashcroft in jenem freundlichen Konversationston, den er anschlug, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte.
»Meine Tochter bleibt nicht in London«, erwiderte John Dean. »Und welche Plauderei mit Ihnen könnte Dianas gutem Ruf förderlich sein?«
Kaum merklich verkniffen sich Ashcrofts Lippen, obwohl alle Anwesenden den berechtigten Tadel erkannten. Eins war allerdings nicht gerechtfertigt, nämlich dass die Schuld an Dianas Sünden auf ihn allein abgewälzt wurde. »Mrs. Carrick?«, fragte er. Glaubte er, sie würde sich umstimmen lassen, nur weil er es wünschte?
Ein paar träumerische Sekunden lang spielte sie mit
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