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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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die Länge und Unsicherheit der Reise und das rauhe Wetter betrifft, wer soll sich denn solchen Unbequemlichkeiten unter
ziehen, wenn nicht ich um Tellsons willen es tue, denen ich so viele Jahre gedient habe?«
    »Ich wollte, ich könnte selbst auch gehen«, sagte Charles Darnay etwas unruhig und wie in lauten Gedanken.
    »Wirklich? Ihr seid mir der Rechte, der da Einwendungen erheben und Rat erteilen kann!« rief Mr. Lorry. »Möchtet selbst hingehen? Ihr, ein geborener Franzose? Ihr seid ein weiser Ratgeber!«
    »Mein lieber Mr. Lorry, eben weil ich ein geborener Franzose bin, ist mir dieser Gedanke, den ich übrigens hier nicht laut werden zu lassen beabsichtige, schon oft in den Sinn gekommen. Wenn man fühlt für dieses unglückliche Volk und ihm einige Opfer gebracht hat« (er sprach wieder in der früheren nachdenklichen Weise), »so kann man sich der Vorstellung nicht entschlagen, daß man vielleicht Gehör finden und so viel Macht gewinnen könnte, es zu überreden, daß es sich mäßige. Erst gestern abend, nachdem Ihr uns verlassen hattet, sprach ich mit Lucie …«
    »So, Ihr spracht mit ihr?« wiederholte Mr. Lorry. »Ja. Ich wundere mich, daß Ihr Euch nicht schämt, Lucies Namen zu nennen! Möchte in einer solchen Zeit nach Frankreich gehen!«
    »Aber ich gehe ja nicht!« sagte Charles Darnay lächelnd. »Es ist richtiger, wenn Ihr sagt: Ihr wollt es tun.«
    »Allerdings. Die Sache verhält sich nämlich so, mein lieber Charles«, Mr. Lorry blickte nach dem fernen ›Hause‹ hin und dämpfte seine Stimme: »Ihr habt gar keine Vorstellung, wie schwer uns gegenwärtig das Geschäft gemacht wird und wie sehr dort drüben unsere Bücher und Papiere gefährdet sind. Der Himmel weiß, welche unglückseligen Folgen für viele daraus erwüchsen, wenn einige von unseren Dokumenten weggenommen oder zerstört würden; und Ihr begreift wohl, daß
dies jeden Tag geschehen kann, denn wer vermag zu sagen, ob nicht Paris heute in Brand gesteckt oder morgen geplündert wird? Es muß daher so schnell wie möglich eine sorgfältige Auswahl getroffen werden, und niemand wird dies so schnell besorgen und die Papiere vergraben oder sonst in Sicherheit bringen können wie ich. Soll ich Bedenken erheben, wenn Tellsons dies wissen und es mir sagen – Tellsons, deren Brot ich seit sechzig Jahren gegessen habe –, weil meine Gelenke ein bißchen steif geworden sind? Ha, gegen ein halbes Dutzend von den alten Burschen hier bin ich noch ein Knabe, Sir!«
    »Wie bewundere ich die Rüstigkeit Eures jugendlichen Geistes, Mr. Lorry!«
    »Unsinn, Sir! – Und, mein lieber Charles«, sagte Mr. Lorry, wieder nach dem ›Hause‹ hinsehend, »Ihr müßt bedenken, daß es an die Unmöglichkeit grenzt, Dinge, welcher Art sie auch sein mögen, jetzt aus Paris fortzubringen. Im strengsten Vertrauen (denn es ist kaum zulässig, es auch nur Euch zuzuraunen) will ich Euch mitteilen, daß täglich Papiere und Geld durch die seltsamsten Boten, die Ihr Euch nur denken könnt, zu uns hergebracht werden, durch Leute, deren Leben beim Überschreiten der Schlagbäume an einem Haar hing. Zu anderen Zeiten gingen unsere Pakete so ungehindert ab und zu wie in dem tüchtigen alten England; aber jetzt wird alles angehalten.«
    »Und Ihr wollt wirklich heute abend aufbrechen?«
    »Ja, heute abend. Die Sache ist zu dringend geworden, als daß eine längere Verzögerung zulässig wäre.«
    »Ihr nehmt niemand mit Euch?«
    »Man hat mir alle Arten von Leuten vorgeschlagen; aber ich möchte keinen davon darum angehen, sondern gedenke den Jerry mitzunehmen. Er ist schon geraume Zeit an Sonntagabenden meine Leibwache gewesen, und ich bin an ihn ge
wöhnt. Niemand wird in Jerry etwas anderes vermuten als einen englischen Bullenbeißer, der für nichts einen Sinn hat als für die Waden anderer Leute, wenn sie seinem Herrn etwas anhaben wollen.«
    »Ich muß wiederholen, daß mich Eure Rüstigkeit und Euer Jugendmut in Erstaunen setzen.«
    »Und ich sage wieder: Unsinn, Unsinn! Wenn ich diesen kleinen Auftrag erfüllt habe, nehme ich vielleicht Tellsons Vorschlag an, mich in den Ruhestand zu begeben und meiner Muße zu leben. Dann ist's Zeit genug, ans Altwerden zu denken.«
    Dieses Zwiegespräch hatte an Mr. Lorrys gewöhnlichem Pult stattgefunden, während Monseigneur sich einen oder zwei Schritte davon herumtrieb und großsprecherisch erklärte, wie er in Kürze an dem schurkischen Volke Rache nehmen wolle. Es lag zu sehr in der Art von Monseigneur in seiner

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