Eine Geschichte aus zwei Städten
Verbannung und Not, auch zu sehr in der Art der eingeborenen britischen Orthodoxie, jene schreckliche Revolution im Lichte der einzigen Ernte unter dem Himmel zu beurteilen, der keine entsprechende Saat vorausging – als ob nie durch Tat oder Unterlassung dafür vorgearbeitet worden sei und als ob die Beobachter der unglücklichen Millionen in Frankreich, die wußten, wie kläglich die Hilfsquellen, die diesen zustatten kommen sollten, mißbraucht und vergeudet worden waren, nicht schon seit Jahren vorausgesehen und in dürren Worten prophezeit hätten, was notwendig kommen mußte. Solches windige Wesen in Verbindung mit den überspannten Anschlägen Monseigneurs, den Zustand von Dingen wiederherzustellen, die sich völlig überlebt hatten, konnte ein Mann von gesundem Urteil, der von dem wahren Sachverhalt unterrichtet war, kaum mit anhören und dazu schweigen. Auch schwirrten diese Prahlereien Charles Darnay so verwirrend um die Ohren und trie
ben ihm das Blut dermaßen zu Kopfe, daß die geheime Unruhe seines Innern noch erhöht und nachhaltiger gemacht wurde.
Unter den Schwätzern befand sich auch Stryver vom King's Bench, der auf dem Wege der Beförderung zum Staatsbeamten schon weit vorangeschritten war; er ließ sich besonders laut über den Gegenstand vernehmen, indem er Monseigneur anspornte in seinen Plänen, das Volk in die Luft zu sprengen, vom Angesicht der Erde zu vertilgen und sich ohne dieses Pack zu behelfen, und erteilte dabei Ratschläge, ziemlich demjenigen ähnlich, der zur Ausrottung der Adler empfiehlt, ihnen Salz auf die Schwänze zu streuen. Seine Großsprechereien erschienen Darnay besonders widerlich, und der junge Mann war unschlüssig mit sich, ob er, um nichts weiter zu hören, fortgehen oder bleiben und ein Wörtchen dreinreden sollte, als etwas geschah, was bei seiner Entscheidung den Ausschlag gab.
Das ›Haus‹ näherte sich Mr. Lorry und schob ihm einen beschmutzten, unerbrochenen Brief mit der Frage zu, ob er von der Person, die in der Adresse bezeichnet war, noch keine Spuren aufgefunden habe. Dies geschah in einer Weise, daß Darnay die Überschrift lesen konnte, und seine Aufmerksamkeit wurde um so lebhafter gefesselt, als die Adresse auf seinen eigenen wahren Namen lautete. Sie war englisch geschrieben und als ›sehr dringend‹ bezeichnet: ›An den weiland Marquis St. Evrémonde aus Frankreich, zur Besorgung empfohlen den Herren Tellson & Companie, Bankiers in London, England‹.
Am Hochzeitsmorgen hatte Doktor Manette an Charles Darnay das einzige dringende und ausdrückliche Ersuchen gestellt, daß das Geheimnis seines wahren Namens streng gewahrt bleiben solle, wenn nicht er, der Doktor, seinen Schwiegersohn dieser Verpflichtung enthebe. Niemand wußte daher, wie er eigentlich hieß; seine eigene Gattin hatte keine Ah
nung davon, und noch viel weniger konnte Mr. Lorry es wissen.
»Nein«, erwiderte Mr. Lorry auf die Frage des ›Hauses‹; »ich habe, glaub ich, bei allen, die hier sind, Umfrage gehalten; aber niemand konnte mir sagen, wo dieser Gentleman zu finden ist.«
Da der Minutenzeiger der Uhr sich dem Moment des Bankschlusses näherte, so setzte jetzt eine allgemeine Strömung ein, und die Schwatzenden fegten an dem Pulte des Mr. Lorry vorbei. Dieser hielt den Brief fragend in die Höhe, und Monseigneur in der Person dieses oder jenes ränkeschmiedenden entrüsteten Flüchtlings betrachtete ihn, hatte aber dies, jenes und weiß Gott was sonst noch, in französischer oder englischer Sprache stets etwas Herabwürdigendes über den Marquis zu bemerken, der nicht aufzufinden war.
»Neffe, glaube ich, aber jedenfalls ein sehr entarteter Nachfolger des edlen Marquis, der ermordet wurde«, sagte der eine. »Gottlob, ich hab ihn nie gekannt.«
»Ein Hundsfott, der vor Jahren von seinem Posten wich«, erklärte ein anderer, der, in ein Heubündel gepackt, mit den Füßen nach oben und halb erstickt, aus Paris entkommen war.
»Von den neuen Lehren angesteckt«, bemerkte ein dritter, die Adresse lorgnettierend; »machte Opposition gegen den verstorbenen Marquis, verließ sein Familienerbe und gab es dem spitzbübischen Haufen preis. Man wird's ihm hoffentlich lohnen, wie er's verdient.«
»Wie?« blökte Stryver. »Hat er das wirklich getan und ist er ein Kerl von solchem Schlag? Wie heißt der ehrlose Bursche? Zum Henker mit dem Menschen!«
Darnay, der sich nicht länger halten konnte, berührte Mr. Stryver an der Schulter und sagte:
»Ich kenne den
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