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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Glutfarben tauchte. Jetzt raffte der Arbeiter sein Gerät zusammen, um sich nach dem Dorfe zu begeben, und weckte ihn.
    »Gut«, sagte der Schläfer, sich auf seinen Ellenbogen stützend. »Zwei Stunden jenseits des Berggipfels?«
    »Ungefähr.«
    »Ungefähr. Gut.«
    Der Staub wehte, je nachdem der Wind ging, vor dem Steinklopfer her, als er nach Hause zurückkehrte. Er hatte bald den Brunnen erreicht, drückte sich zwischen den mageren Kühen hindurch, die man zur Tränke hergeführt, und schien, während er dem ganzen Dorfe zuflüsterte, auch sie mit zu meinen. Nachdem das Dorf sein dürftiges Nachtessen eingenommen, kroch es nicht wie sonst ins Bett, sondern kam wieder zu den Türen heraus und blieb auf der Straße. Das Flüstern war merkwürdig ansteckend, und als das Dorf sich in der Dunkelheit um den Brunnen sammelte, machte sich eine weitere wunderliche Ansteckung bemerkbar, da es erwartungsvoll nur in einer einzigen Richtung nach dem Himmel aufschaute. Monsieur Gabelle, die bedeutendste Person im Orte, wurde unruhig; er stieg zum Giebel seines Hauses hinauf und schau
te gleichfalls in diese Richtung; dann blickte er hinter seinen Schornsteinen hervor nach den immer undeutlicher werdenden Gesichtern um den Brunnen und ließ dem Küster, der die Kirchenschlüssel bewahrte, sagen, daß er vielleicht die Sturmglocke zu läuten haben werde.
    Die Nacht wurde immer dunkler. Die Bäume um das Schloß her, die ihm seine Einsamkeit und Abgeschlossenheit bewahrten, bewegten sich im Winde, als drohten sie der schwarzen, schweren Gebäudemasse im Finstern. Der Regen schlug wild gegen die zwei Fluchten der Treppenterrasse und klopfte an das große Tor wie ein Eilbote, der die drinnen wecken will; Windstöße sausten durch die Halle, heulten unter den alten Speeren und Messern, jagten wehklagend die Stiegen hinan und hoben die Vorhänge des Bettes, in dem der letzte Marquis geschlafen hatte. Von Ost, West, Nord und Süd her zertraten durch die Wälder die schweren Schuhe von vier ungekämmten Gestalten das hohe Gras und die dürren Zweige, bis sie sich vorsichtig in dem Hofe zusammengefunden. Dann sah man vier Lichter sich entzünden und in verschiedenen Richtungen fortbewegen. Es war alles wieder dunkel.
    Aber nicht für lange. Plötzlich begann das Schloß sich von eigenem Licht seltsam zu erhellen, als ob es hinausleuchten wollte in die Landschaft. Dann spielte ein flackernder Streifen hinter der Vorderseite des Gebäudes, suchte sich durchscheinende Stellen auf und zeigte, wo die Geländer, die Bogen und die Fenster sich befanden. Er wurde höher, breiter und glänzender. Bald schlugen zu einem Dutzend der großen Fenster Flammen heraus, und die geweckten steinernen Gesichter glotzten großäugig durch das Feuer.
    Im Hause entstand einiger Lärm von den wenigen Leuten im Innern; ein Pferd wurde gesattelt, und ein Reiter sprengte davon. Das war ein Spornen und Klatschen durch die Dunkel
heit, und der Zügel wurde erst angezogen auf dem Platze vor dem Brunnen, als das Roß schäumend vor Monsieur Gabelles Tür stand. »Zu Hilfe, Gabelle! Zu Hilfe, ihr alle!« Die Sturmglocke läutete ungestüm; aber das war die einzige Hilfe, wenn man sie so nennen konnte. Der Steinklopfer und zweihundertundfünfzig seiner Freunde standen mit verschränkten Armen um den Brunnen her und schauten nach der Feuersäule am Himmel auf. »Sie muß vierzig Fuß hoch sein«, sagten sie grimmig; aber niemand rührte sich von der Stelle.
    Der Reiter vom Schloß klapperte mit dem schäumenden Pferd durch das Dorf und galoppierte die Felsensteige zu dem Gefängnis hinan. Vor dem Tor sah eine Gruppe von Offizieren und in einiger Entfernung von ihnen ein Soldatenhaufen nach dem Feuer hin. »Hilfe, ihr Herren Offiziere! Das Schloß brennt; wertvolle Gegenstände können noch den Flammen entrissen werden, wenn man sich dazuhält. Hilfe! Hilfe!« Die Offiziere blickten zu den Soldaten hin, die dem Feuer zuschauten, gaben aber keinen Befehl, sondern bissen sich auf die Lippen und antworteten achselzuckend: »Man muß es brennen lassen.«
    Als der Reiter wieder den Berg hinunter und die Straße entlang galoppierte, war das Dorf beleuchtet. Der Steinklopfer und die zweihundertundfünfzig Freunde waren, wie ein Mann von dem Gedanken einer Illumination inspiriert, in die Häuser gestürzt und hatten hinter jede trübe Glasscheibe ein Licht gestellt. Die Armut an allem gab Anlaß, daß man in etwas schroffer Weise Lichte bei Monsieur Gabelle borgte; denn als

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