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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Marquis, handelt Ihr nun auch treu an mir.
    Von meinem schrecklichen Gefängnis aus, das mich von Stunde zu Stunde dem Ende näher bringt, versichere ich Euch, weiland Herr Marquis, meiner schmerzensvollen, unglücklichen Dienstbeflissenheit.
    Dero tiefbetrübter   
    Gabelle.
     
    Die geheime Unruhe in Darnays Innern wurde durch diesen Brief recht kräftig gesteigert. Der Notschrei eines alten Dieners und wackeren Mannes, dessen einziges Verbrechen die Treue gegen ihn und seine Familie war, wurde ihm zu einer so vorwurfsvollen Mahnung, daß er, während er in Betrachtungen über die tunlichen Schritte in dem Temple auf und ab ging, vor den Vorüberwandelnden fast sein Gesicht verhüllte.
    Er wußte sehr wohl, daß er in seinem Abscheu vor der Tat, durch die den Verbrechen und dem schlechten Ruf der alten Familie die Krone aufgesetzt wurde, unter dem hämischen Argwohn seines Onkels und in dem Widerwillen, den sein Gewissen gegen das morsche Gebäude hegte, dem er zur Stütze hätte dienen sollen, nur mit Halbheit gehandelt hatte. Nur wegen seiner Liebe für Lucie war der Verzicht auf seine gesellschaftliche Stellung, obwohl er sich oft schon mit ähnlichen Gedanken getragen, mit einer übereilten Hast und nur unvollständig geschehen. Die Sache hätte wohl geprüft und planmäßig ausgeführt werden sollen; und obschon dies eigentlich in seiner Absicht gelegen, war er doch nie dazu gekommen.
    Das Glück seiner neu gewählten englischen Heimat, die Notwendigkeit einer eifrigen Berufsarbeit, der Umschwung und die Wirren der Zeit, die so rasch aufeinander folgten, daß die Ereignisse der nächsten Woche die unreifen Pläne der letzten wieder vernichteten und einen ganz neuen Zustand ins Leben riefen: dies waren die Momente, deren Gewalt er gewichen, allerdings nicht ohne Unruhe, aber doch ohne einen nachhaltigen und kräftigen Widerstand. Daß die Zeitläufe, während er zusah, um einen passenden Moment zum Handeln zu finden, wieder und wieder umschlugen, bis dieser Augenblick vorüber war, der Adel auf allen Land- und Nebenstraßen scharenweise Frankreich verließ, seine Güter der Beschlagnahme und Zerstörung anheimfielen und seine Namen aus der Liste des
Volkes gestrichen wurden, war ihm so gut bekannt wie der nächsten besten Behörde in Frankreich, die ihn vielleicht für sein Säumen verantwortlich machte.
    Doch er hatte sich nie als Bedrücker erwiesen, nie einen Menschen seiner Freiheit beraubt und, statt die ihm zustehenden Zahlungen mit Härte einzutreiben, lieber freiwillig sein Eigentum verlassen, sich der Ungunst der Welt anheimgegeben und darin ein Plätzchen errungen, das ihm das tägliche Brot abwarf. Monsieur Gabelle, der laut schriftlicher Vollmacht die verarmten und mit Schulden belasteten Güter verwaltete, war der gemessenste Befehl hinterlassen worden, die Leute zu schonen und ihnen das bißchen zu geben, was noch übrigblieb – das Holz, das den harten Gläubigern für den Winter, die Felderzeugnisse, die denselben gierigen Klauen während des Sommers abzuringen waren; und ohne Zweifel hatte er, um der eigenen Sicherheit willen, diesen Umstand gehörig ins Licht gestellt, so daß er jetzt kein Geheimnis mehr sein konnte.
    Dies ermutigte Charles Darnay in seinem verzweifelten Gedanken, selbst nach Paris zu gehen.
    Ja. Die Winde und Strömungen hatten ihn wie den Matrosen des alten Märchens in den Bereich des Magnetfelsens gebracht, der ihn anzog, und er mußte folgen. Alles, was in seinem Innern auftauchte, trieb ihn schneller und schneller, stetiger und stetiger nach dem schrecklichen Punkte hin. Seine geheime Unruhe hatte daher gerührt, daß man in seinem unglücklichen Vaterlande mit schlechten Werkzeugen für schlechte Zwecke arbeitete, und er machte sich Vorwürfe, daß er, der besser war als sie, sich nicht dort befand und seine Kräfte aufbot, um dem Blutvergießen Einhalt zu tun und der Gnade und Menschlichkeit das Wort zu reden. In dieser Unruhe wurde er auf eine beschämende Weise bestärkt durch den Vergleich seines Benehmens mit dem des wackeren alten Lorry, dem
sein Pflichtgefühl keine Ruhe ließ; und unmittelbar darauf folgten die Hohnreden von Monseigneur, deren Stachel tief in seine Seele drang, und die rohen Bemerkungen Stryvers, der sich aus alten Gründen zu einer geringschätzigen Behandlung für berechtigt hielt; dann noch Gabelles Brief – die Berufung eines unschuldigen, mit dem Tode bedrohten Gefangenen auf seine Gerechtigkeit, seine Ehre und seinen guten

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