Eine Geschichte aus zwei Städten
England.«
»Natürlich. Man wird Euch in das Gefängnis La Force abführen, Evrémonde.«
»Gerechter Himmel!« rief Darnay. »Nach welchem Gesetz und wegen welches Vergehens?«
Der Beamte sah einen Augenblick von seinem Papier auf.
»Seit Ihr hier wart, Evrémonde, haben wir neue Gesetze und neue Vergehen«, sagte er mit einem harten Lächeln und fuhr fort zu schreiben.
»Ich bitte Euch, zu bemerken, daß ich freiwillig hierhergekommen bin, um der schriftlichen Aufforderung eines Landsmannes, die Ihr vor Euch liegen habt, zu entsprechen. Ich verlange nichts als die Gelegenheit, Zeugnis für ihn abzulegen. Habe ich kein Recht dazu?«
»Emigranten haben keine Rechte, Evrémonde«, lautete die brutale Antwort. Der Beamte schrieb fort, bis er fertig war, überlas dann das Geschriebene und händigte es Defarge mit den Worten ein: »In Einzelhaft.«
Defarge winkte dem Gefangenen mit dem Papier, um ihm anzudeuten, daß er ihm folgen müsse. Darnay gehorchte, und eine Wache von zwei Patrioten schloß sich ihnen an.
»Seid Ihr der«, sagte Defarge mit leiser Stimme, als sie die Treppe vor dem Wachhaus hinunterstiegen und sich der Stadt zuwandten, »der die Tochter des Doktors Manette heiratete, der ehedem in der jetzt zerstörten Bastille gefangen saß?«
»Ja«, antwortete Darnay, indem er ihn erstaunt anblickte.
»Mein Name ist Defarge. Ich halte ein Weinhaus in dem Viertel von Saint Antoine. Vielleicht habt Ihr schon von mir gehört?«
»Meine Frau kam in Euer Haus, um ihren Vater zurückzuholen? Ja.«
Das Wort ›Frau‹ schien in Defarge eine düstere Erinnerung zu wecken; er sagte mit plötzlicher Ungeduld:
»Im Namen jener scharfen neugeborenen Frau, die man La Guillotine nennt, warum seid Ihr nach Frankreich gekommen?«
»Ihr habt vor einer Minute meinen Grund vernommen. Glaubt Ihr nicht, daß ich die Wahrheit sage?«
»Eine schlimme Wahrheit für Euch«, bemerkte Defarge, die Stirn furchend und gerade vor sich hin schauend.
»In der Tat, ich kenne mich hier nicht mehr aus. Alles ist so ohne Beispiel, so verändert, so überraschend und so widrig, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Wollt Ihr mich nicht ein wenig zurechtweisen?«
»Nein.«
Defarge schaute immer vor sich hin, wenn er sprach.
»Aber doch mir vielleicht auf eine einzige Frage antworten?«
»Vielleicht. Je nachdem sie ist. Redet; ich will hören.«
»Werde ich in dem Gefängnis, in das man mich ungerechterweise abführt, einigen freien Verkehr mit der Außenwelt haben?«
»Das werdet Ihr sehen.«
»Man wird mich dort doch nicht ohne Urteil begraben und mir Gelegenheit bieten, meine Sache vorzubringen?«
»Ihr werdet's sehen. Und was liegt daran? Vor Euch sind andere Leute in viel schlimmeren Gefängnissen begraben worden.«
»Aber nie durch meine Schuld, Bürger Defarge.«
Defarge antwortete darauf nur mit einem finsteren Blick und schritt festen Fußes weiter, ohne die Stille weiter zu unterbrechen. Dieses Schweigen schien Darnay eine geringe Hoffnung zu geben, seinen Begleiter milder zu stimmen. Er sagte daher endlich:
»Es ist für mich von höchster Wichtigkeit – Ihr wißt das sogar noch besser als ich zu beurteilen, Bürger –, daß ich in die Lage komme, Mr. Lorry von Tellsons Bank, einem englischen Gentleman, der sich gegenwärtig in Paris aufhält, ohne weiteren Kommentar die einfache Tatsache mitzuteilen, ich sei in das Gefängnis La Force gesetzt worden. Wollt Ihr dies für mich vermitteln?«
»Ich will nichts für Euch tun«, versetzte Defarge störrisch. »Meine Pflicht gehört meinem Land und dem Volke. Als geschworener Diener von beiden bin ich gegen Euch. Ich werde nichts für Euch tun.«
Charles Darnay fühlte, daß es hoffnungslos sei, weiter in ihn zu dringen, und auch sein Stolz war verletzt. Während sie schweigend weitergingen, konnte er deutlich bemerken, wie das Volk bereits daran gewöhnt war, daß man Gefangene durch die Straßen führte. Nicht einmal die Kinder achteten auf ihn.
Einige Vorübergehende wandten den Kopf nach ihm um oder schüttelten die Faust gegen ihn als einen Aristokraten; sonst aber schien der Umstand, daß ein gut gekleideter Mensch ins Gefängnis geführt wurde, nicht auffallender, als wenn ein Arbeiter in seinen Werktagskleidern an sein Geschäft ging. In einer engen, dunklen und schmutzigen Straße, durch die sie kamen, stieg ein aufgeregter Redner auf einen Stuhl und erhitzte die Stimmung im Publikum durch die Aufzählung der Verbrechen, die der König und die
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