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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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viereinhalb breit, fünf Schritt lang, viereinhalb breit.‹ Der Gefangene ging in der Zelle auf und ab, maß ihre Länge und Breite, und von der Stadt her vernahm er einen Lärm wie von gedämpften Trommeln, in den sich wildes Geschrei mengte.
    ›Er machte Schuhe, er machte Schuhe, er machte Schuhe.‹ Der Gefangene zählte wieder seine Schritte und schritt schneller, um jene Worte aus seinem Hirn zu verdrängen. Die Gespenster, die verschwanden, als die Tür geschlossen wurde – es war eines darunter, das aussah wie eine schwarz gekleidete Frau; sie lehnte in einer Fenstervertiefung, das Licht schien wieder auf ihr goldenes Haar, und sie glich … ›Um Gottes willen, machen wir, daß wir fortkommen aus diesen beleuchteten Städten, wo alle Leute wach sind! … Er machte Schuhe, er machte Schuhe, er machte Schuhe … Fünf Schritt lang und viereinhalb breit.‹ So wogte es in den Tiefen seiner Seele auf und nieder. Der Gefangene ging schneller und schneller, hartnäckig weiterzählend. Und der Lärm der Stadt änderte sich so, daß es immer noch klang wie gedämpfte Trommeln, aber das Wehklagen ihm bekannter Stimmen war stärker als diese Töne.
    Zweites Kapitel
    Der Schleifstein
    Tellsons Bank befand sich in dem Saint-Germain-Viertel von Paris, und zwar in einem Flügel eines großen Hauses, zu dem man über einen Vorhof gelangte und das gegen die Straße durch eine hohe Mauer und ein starkes Tor abgesperrt war. Das Haus gehörte einem vornehmen Adligen, der es bewohnt hatte, bis er sich in der Kleidung seines Kochs den Unruhen entzog und über die Grenze ging. Jetzt ein gehetztes Wild, das vor den Jägern floh, war er doch trotz seiner Umwandlung kein anderer als derselbe Monseigneur, der, um seine Schokolade an die Lippen zu bringen, vier starke Männer brauchte, den Koch nicht mitgerechnet.
    Monseigneur war fort, und die vier starken Männer taten für die Sünde, ihm einen hohen Lohn abgenommen zu haben, dadurch Buße, daß sie sich mehr als bereit und willig erwiesen, ihm am Altar der aufdämmernden einen und unteilbaren Republik mit dem Motto Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Tod den Hals abzuschneiden. Monseigneurs Haus war anfangs mit Beschlag belegt und dann vom Fiskus eingezogen worden. Es ging mit allen Dingen so schnell, und Dekret folgte auf Dekret mit so wilder Hast, daß jetzt in der dritten Nacht des herbstlichen Monats September patriotische Regierungskommissare im Besitz von Monseigneurs Haus waren, es mit der Trikolore gezeichnet hatten und in den Prunkzimmern Branntwein tranken.
    Ein Geschäftshaus in London, wie Tellsons Geschäftshaus in Paris war, würde das ›Haus‹ bald um seinen Verstand und sein Ansehen gebracht haben. Denn was hätte wohl die gesetzte britische Achtbarkeit und Zuverlässigkeit zu den Kübeln mit Orangenbäumen in einem Bankhof oder gar zu einem Cu
pido über dem Zahltisch gesagt? Doch so war es einmal. Tellsons hatten zwar den Cupido übertüncht, aber man konnte ihn darunter noch immer in seiner allzu leichten Kleidung an der Decke sehen, wie er seinem nicht seltenen Brauche gemäß vom Morgen bis in die Nacht nach dem Gelde zielte. In der Londoner Lombardstraße wäre durch den blinden Heiden, den mit einem Vorhang versehenen Alkoven hinter dem unsterblichen Knaben, durch den in die Wand eingelassenen Spiegel und die jungen Angestellten, die bei jeder tunlichen Gelegenheit an öffentlichen Tanzbelustigungen teilnahmen, unvermeidlich der Bankrott herbeigeführt worden. In Frankreich aber konnten Tellsons mit solchen Dingen sich wohl vertragen, ohne daß, solange die Zeit nicht aus ihrem Geleise kam, irgend jemand sich darüber entsetzte und sein Geld zurücknahm.
    Welches Geld man nun bei Tellsons abhob und wieviel dort liegenblieb, verloren oder vergessen, welche Vorräte von Silbergeschirr und Geschmeide in Tellsons Geheimfächern lagen, während die Eigentümer in Gefängnissen moderten oder im Laufe der Zeit einen gewaltsamen Tod fanden; wie viele Abrechnungen mit Tellsons in dieser Welt nie mehr zum Abschluß kommen sollten, sondern in die andere hinübergeschleppt werden mußten – niemand hätte in jener Nacht besser Auskunft darüber geben können als Mr. Jarvis Lorry, obschon ihm diese Fragen schwer zu schaffen machten. Er saß bei einem frisch angezündeten Holzfeuer (das schlimme und unfruchtbare Jahr war frühzeitig kalt geworden), und auf seinem ehrlichen, mutigen Gesicht lag ein tieferer Schatten, als ihn die Hängelampe werfen oder

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