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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Mitternacht, und als die ganze Stadt im Schlafe lag, ritten sie weiter. Unter den vielen seltsamen Veränderungen an bekannten
Dingen, die während des unheimlichen Nachtritts auffielen, war nicht die geringste, daß der Schlaf so selten geworden zu sein schien. Nachdem sie lange einsam über verödete Wege hingetrabt waren, konnten sie auf eine Gruppe von Bauernhäusern treffen, die nicht in Dunkel gehüllt dalagen, sondern in hellem Lichtschimmer glänzten, während die Bewohner wie Nachtgespenster Hand in Hand um einen verdorrten Freiheitsbaum tanzten und Freiheitslieder dazu sangen. Zum Glück schlief man diese Nacht in Beauvais, und sie kamen glücklich wieder hinaus in die freie Einsamkeit. Dahin ging es klappernd in dem vorzeitig kalten und feuchten Wetter über die ausgesogenen Felder, die in jenem Jahre keine Frucht getragen, und eine Abwechslung ergab sich nur, wenn da und dort die Trümmer niedergebrannter Häuser auftauchten oder ihnen ein Hinterhalt von patriotischen Streifwachen, die alle Straßen bewachten, plötzlich den Weg sperrte.
    Endlich langten sie bei Tage vor den Mauern von Paris an. Der Schlagbaum war geschlossen und scharf bewacht, als sie angeritten kamen.
    »Wo sind die Papiere dieses Gefangenen?« fragte ein entschlossen aussehender Beamter, den die Wache herausgerufen hatte.
    Das unangenehme Wort machte natürlich Charles Darnay betroffen; er ersuchte deshalb den Sprecher, zu berücksichtigen, daß er ein freier Reisender und französischer Bürger sei, der bei dem unruhigen Zustand des Landes auf eigene Kosten sich habe mit einer Bedeckung versehen müssen.
    »Wo sind die Papiere dieses Gefangenen?« wiederholte der Beamte, ohne den Einspruch auch nur im geringsten zu beachten.
    Einer der beiden Patrioten hatte sie in seiner Mütze und brachte sie zum Vorschein. Der Beamte überflog Gabelles Brief,
zeigte dabei einige Unruhe und Überraschung und betrachtete dann Darnay mit großer Aufmerksamkeit.
    Ohne im übrigen ein Wort zu sprechen, kehrte er in die Wachstube zurück, während der Gefangene und die Bedeckung auf ihren Pferden vor der Barriere blieben. Verwirrt schaute Charles Darnay umher und bemerkte, daß das Tor von einer aus Soldaten und Patrioten bestehenden gemischten Wache besetzt war, in der jedoch die Bürger bei weitem die Mehrzahl bildeten. Dabei machte er die Wahrnehmung, daß die Karren der Bauern, die Lebensmittel und andere Vorräte herbeiführten, leicht genug Eingang fanden, aber daß es selbst dem Unscheinbarsten aus dem Volk schwer wurde, hinauszukommen. Ein zahlreiches Gedränge von Männern und Weibern, des Viehs und der verschiedenartigen Fuhrwerke nicht zu gedenken, harrte der Erlaubnis, wieder fort zu dürfen; aber die vorläufige Untersuchung war so streng, daß die Leute nur sehr langsam durch die Barriere durchsickerten. Einige davon, die wußten, daß die Visitation noch lange nicht an sie kommen werde, hatten sich auf den Boden niedergelegt, um zu schlafen oder zu rauchen, während andere miteinander plauderten oder umherlungerten. Die rote Mütze und die dreifarbige Kokarde war sowohl unter den Männern wie unter den Weibern allgemein.
    Nachdem Darnay ungefähr eine halbe Stunde im Sattel gesessen und sich, was um ihn vorging, betrachtet hatte, kam derselbe Beamte wieder und befahl der Wache, den Schlagbaum zu öffnen. Dann händigte er der Bedeckung einen Empfangsschein für Ablieferung ihres Schutzbefohlenen ein und forderte diesen auf, abzusteigen. Darnay gehorchte. Die zwei Patrioten nahmen sein müdes Pferd am Zügel, wandten sich um und eilten davon, ohne die Stadt zu betreten.
    Darnay folgte seinem Führer in die von Weindunst und Tabaksqualm erfüllte Wachstube, wo einige Soldaten und Patrio
ten schlafend und wachend oder in verschiedenen mittleren Zuständen zwischen Schlafen und Wachen herumstanden und -lagen. Das Licht in der Wachstube, das halb von den erlöschenden Öllampen der Nacht, halb von dem umwölkten Tag herrührte, verbreitete eine entsprechend ungewisse Helle. Auf einem Tisch lagen einige aufgeschlagene Listen, und dahinter saß ein finster blickender, hart aussehender Beamter.
    »Bürger Defarge«, sagte er zu Darnays Begleiter, indem er ein Blatt Papier vornahm, um zu schreiben, »ist dies der Emigrant Evrémonde?«
    »Ja.«
    »Euer Alter, Evrémonde?«
    »Siebenunddreißig.«
    »Verheiratet, Evrémonde?«
    »Ja.«
    »Wo verheiratet?«
    »In England.«
    »Kann mir's denken. Wo ist Euer Weib, Evrémonde?«
    »In

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