Eine Geschichte aus zwei Städten
Patrioten mit roten Mützen und dreifarbigen Kokarden; sie waren mit Nationalmusketen und Säbeln bewaffnet und ritten rechts und links neben dem Reisenden her. Dieser lenkte sein Pferd selbst; aber an seinem Zaum war ein Strick befestigt, dessen anderes Ende einer der Patrioten sich um den Leib geschlungen hatte. So stampften sie, während der scharfe Regen ihnen ins Gesicht schlug, in schwerem Dragonertrab über das unebene Stadtpflaster und auf den grundlosen Straßen weiter. Und so legten sie ohne andern Wechsel als den der Pferde und der Geschwindigkeit alle die tiefkotigen Wegmeilen zurück, die zwischen ihnen und der Hauptstadt lagen.
Sie reisten in der Nacht, machten eine Stunde oder zwei nach Tagesanbruch halt und blieben ruhig liegen, bis die Dämmerung einbrach. Die Bedeckungsmannschaft war so erbärmlich gekleidet, daß sie Stroh um ihre nackten Füße und ihre zerlumpten Schultern gewickelt hatte, um die Nässe abzuhalten. Abgesehen von der persönlichen Unbequemlichkeit einer solchen Begleitung und der Gefahr, die aus der unberechenbaren Handhabung der Musketen von seiten der ihm wenig wohlgesinnten Patrioten erwuchs, ließ sich Charles Darnay durch den ihm auferlegten Zwang nicht in Angst setzen; denn dieser konnte, wie er sich sagte, in keiner Beziehung stehen zu dem besonderen Fall, der noch nicht anhängig gemacht war, und zu den von dem Gefangenen in der Abtei zu bestäti
genden Auseinandersetzungen, die noch nicht vorgebracht waren.
Als sie aber die Stadt Beauvais erreichten – es war bereits Abend und eine große Menschenmenge auf den Straßen –, konnte er sich nicht verhehlen, daß das Aussehen der Dinge sehr beunruhigend wurde. Ein unheimlicher Schwarm sammelte sich um ihn und wollte ihn im Posthof absteigen sehen. Und viele Stimmen riefen laut: »Nieder mit dem Emigranten!«
Wie er sich eben aus dem Sattel schwingen wollte, ließ er sich wieder darauf nieder, da er ihm der sicherste Platz zu sein schien, und sagte: »Emigrant, meine Freunde? Seht ihr denn nicht, daß ich aus eigenem freiem Antrieb hier in Frankreich bin?«
»Du bist ein verfluchter Emigrant!« rief ein Schmied, der, den Hammer in der Hand, mit Gewalt sich durch das Gedränge Bahn brach; »und ein verfluchter Aristokrat obendrein!«
Der Postmeister stellte sich zwischen den Mann und den Zügel des Rosses, auf den es dieser augenscheinlich abgesehen hatte, und sagte beschwichtigend:
»Laßt ihn gehen; laßt ihn in Frieden! Er wird in Paris gerichtet werden.«
»Gerichtet!« wiederholte der Schmied, seinen Hammer schwingend.
»Ja, und verurteilt als Verräter.«
Die Menge brüllte ihm Beifall zu.
Der Postmeister wandte sich um und wollte das Pferd mit in den Hof hineinnehmen, wobei der Begleiter, der die Leine noch immer um seinen Leib gebunden hatte, ruhig von seinem Sattel aus zusah. Darnay hielt ihn zurück und rief, sobald er sich vernehmlich machen konnte:
»Freunde, ihr seid im Irrtum, oder ihr seid getäuscht. Ich bin kein Verräter.«
»Er lügt!« entgegnete der Schmied. »Er ist ein Verräter seit dem Dekret. Er hat sein Leben an das Volk verwirkt. Sein verfluchtes Leben gehört nicht mehr ihm.«
Darnay sah es blitzen in den Augen des Haufens, der im nächsten Moment auf ihn losstürzen zu wollen schien. Der Postmeister zog das Pferd in den Hof, und die Bedeckung ritt rechts und links mit ein, worauf jener die gebrechlichen Torflügel schloß und verriegelte. Der Schmied führte zwar noch einen Hammerschlag, und der Volkshaufe brüllte wild, aber damit hatte es sein Bewenden.
»Was für ein Dekret ist das, von dem der Schmied gesprochen hat?« fragte Darnay den Postmeister, nachdem er abgestiegen war und ihm gedankt hatte.
»Ein Dekret, das den Verkauf des Eigentums von Emigranten anbefiehlt.«
»Wann wurde es erlassen?«
»Am vierzehnten.«
»An demselben Tage also, an dem ich England verließ.«
»Jedermann sagt, es sei nur der Vorläufer von anderen, die noch nachfolgen würden – wenn sie nicht vielleicht gar schon ausgegeben sind. Man spricht von Verbannung aller Emigrierten und von Todesstrafe gegen die Zurückkehrenden. Dies meinte er, als er sagte, daß Euch Euer Leben nicht mehr gehöre.«
»Aber es bestehen doch noch keine solchen Gesetze?«
»Was weiß ich«, versetzte der Postmeister. »Vielleicht sind sie schon ausgegeben, vielleicht geschieht es demnächst. Doch dies kommt wohl aufs gleiche hinaus. Womit kann ich dienen?«
Sie ruhten in einem Speicher auf Stroh aus bis gegen
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