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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Wirtin, die sich zufällig an verschiedenen Stellen des Wegs zwischen dem Concord- und dem Kaffeezimmer aufhielten, einen Gentleman von etwa Sechzig in einem förmlichen, zwar ziemlich verbrauchten, aber doch gut erhaltenen braunen Anzug mit breiten Armelaufschlägen und großen Taschenpatten auftauchen sahen, der hinunterging, um sein Frühstück einzunehmen.
    An diesem Vormittag gab es im Kaffeezimmer keinen anderen Gast als den Gentleman in Braun. Der Frühstückstisch war vor den Kamin gerückt, und als der Fremde in der vollen Beleuchtung des Feuers dasaß und der Bedienung harrte, verhielt er sich so regungslos, als sei er im Begriff, sich porträtieren zu lassen. Die Hände auf die Knie gelegt, sah er sehr regel
mäßig und ordentlich aus, und eine laute Uhr tickte in der Pattentasche der Weste eine helltönende Predigt, als wolle sie ihre Würde und ihr hohes Alter gegen den Leichtsinn und die rasche Vergänglichkeit der lodernden Flamme behaupten. Er hatte einen hübschen Fuß und war ein bißchen eitel darauf, denn die braunen Strümpfe vom feinsten Gewebe lagen glatt und knapp an, und auch seine Schnallenschuhe nahmen sich trotz ihrer Einfachheit recht sauber aus. Eine flachsfarbige Perücke mit kurzem krausem Haar, das jedoch eher aus Seiden- oder Glasfäden als aus natürlichen Haaren zu bestehen schien, bedeckte seinen Kopf. Die Leinwand entsprach an Feinheit allerdings nicht den Strümpfen, war aber so weiß wie der Schaum der Wellen, die sich am nahen Ufer brachen, oder wie die von der Sonne beleuchteten Reusenpunkte weit draußen in der See. Ein gewöhnlich ruhiges und beherrschtes Gesicht wurde unter der wunderlichen Perücke durch ein Paar feuchte klare Augen erhellt, mit denen ihr Eigentümer wohl manche Not gehabt haben mochte, bis sie im Lauf der Jahre an den zurückhaltenden und gemessenen Ausdruck von Tellsons Bank gewöhnt waren. Auf seinen Wangen lag ein frisches Rot, und sein furchiges Antlitz trug nur wenige Spuren der Sorge. Nun, vielleicht hatten die unverheirateten Kontoristen in Tellsons Bank hauptsächlich mit den Sorgen anderer Leute, mit Sorgen aus zweiter Hand zu tun, die wahrscheinlich wie die Kleider aus zweiter Hand schneller ein Ende nehmen.
    Um das Bild des Mannes, der einem Porträtmaler sitzt, vollständig zu machen, schlummerte Mr. Lorry endlich ein. Die Ankunft des Frühstücks weckte ihn wieder. Als er seinen Stuhl an den Tisch rückte, sagte er zu dem Kellner:
    »Ich wünsche, daß Ihr Vorbereitungen trefft für die Aufnahme eines jungen Frauenzimmers, das heute noch hier ankommen wird. Sie fragt vielleicht nach Mr. Jarvis Lorry, vielleicht
auch einfach nach einem Herrn von Tellsons Bank. Habt die Güte, mich von ihrer Ankunft in Kenntnis zu setzen.«
    »Ja, Sir. Tellsons Bank in London, Sir?«
    »Ja.«
    »Ja, Sir. Die Herren Reisenden dieses Hauses beehren uns auf dem Hin- und Herweg von London nach Paris oft mit ihrem Zuspruch, Sir. Tellson und Kompanie läßt mächtig viel reisen, Sir.«
    »Ja. Wir sind ebensogut ein französisches wie ein englisches Bankhaus.«
    »Ja, Sir. Ihr selbst aber seid wohl an das Reisen nicht sehr gewöhnt, Sir?«
    »In letzter Zeit nicht mehr. Es ist schon fünfzehn Jahre her, seit wir … seit ich meine letzte Reise nach Frankreich machte.«
    »Wirklich, Sir? Nun, damals war ich noch nicht im Hause, auch mein Prinzipal noch nicht, Sir. Der ›Georg‹ befand sich zu jener Zeit in anderen Händen, Sir.«
    »Ganz recht.«
    »Aber ich wollte eine schöne Wette darauf eingehen, Sir, daß ein Haus wie das von Tellson und Kompanie, ich will nicht sagen, nur vor fünfzehn, sondern schon vor fünfzig Jahren florierte.«
    »Ihr könnt die Zahl dreifach nehmen und hundertfünfzig sagen, ohne sehr gegen die Wahrheit zu verstoßen.«
    »Wirklich, Sir?«
    Und Augen und Mund weit aufsperrend, trat der Kellner von dem Tische zurück, warf seine Serviette vom rechten unter den linken Arm, nahm eine gemütliche Haltung an und betrachtete den Gast, während dieser aß und trank, wie von einem Wachtturm oder einer Sternwarte aus, nach dem würdigen Brauch der Kellner in allen Jahrhunderten.
    Nach Beendigung des Frühstücks erhob sich Mr. Lorry, um einen Spaziergang am Strande zu machen. Die kleine, schmale winkelige Stadt Dover hielt sich vom Strande fern und verbarg als ein Vogel Strauß der See ihren Kopf in den Kalksteinklippen. Das Gestade war eine Wüste, in der Wasser und Steine sich untereinander tummelten; die See tat, was sie mochte, und ihr

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