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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Manette eine förmliche Verbeugung.
    »Ich bitte, nehmt Platz, Sir«, begann eine sehr helle und angenehme junge Stimme mit einem ganz leichten Anflug von ausländischem Akzent.
    »Ich küß Euch die Hand, Miß«, sagte Mr. Lorry mit den Manieren einer älteren Generation, während er nach einer abermaligen förmlichen Verbeugung seinen Sitz einnahm.
    »Ich habe gestern von der Bank einen Brief erhalten, der von einer Neuigkeit oder einer Entdeckung spricht …«
    »Das Wort ist nicht wesentlich, Miß; Ihr könnt es so oder so nennen.«
    »Es handelt sich um das kleine Eigentum meines Vaters, den ich nie sah und der schon so lange tot ist.«
    Mr. Lorry rückte auf seinem Stuhl und warf einen ängstlichen Blick auf die Spitalprozession der schwarzen Genien. Als ob sie für irgend jemand Hilfe bringen könnten in ihren abgeschmackten Körben!
    »Es soll dadurch notwendig werden, daß ich nach Paris reise und dort gemeinschaftlich handle mit einem Herrn, der ausdrücklich wegen dieser Angelegenheit nach Paris geschickt worden sei.«
    »Der bin ich.«
    »Das habe ich erwartet, Sir.«
    Sie machte einen Knicks vor ihm (damals knicksten die jungen Frauenzimmer noch), um ihm damit zu verstehen zu geben, daß sie fühle, um wieviel älter und weiser er sei. Und er verbeugte sich abermals.
    »Ich habe darauf der Bank geantwortet, Sir, wenn meinen sachverständigen freundlichen Beratern meine Reise nach Paris nötig erscheine, so werde ich als eine Waise, die keinen Verwandten hat, der sie begleiten kann, mich glücklich schätzen, dieser Notwendigkeit unter dem Schutz des würdigen Herrn nachzukommen. Der Gentleman hatte zwar London schon verlassen; aber ich glaube, es ist ihm ein Bote nachgeschickt worden mit der Bitte, er möchte die Güte haben, mich hier zu erwarten.«
    »Ich bin so glücklich gewesen, mit diesem Dienst betraut zu werden«, erwiderte Mr. Lorry. »Und noch glücklicher wird mich seine Ausführung machen.«
    »Ich danke Euch, danke Euch von ganzem Herzen, Sir. Man hat mir in der Bank gesagt, der Herr werde mir die ganze Angelegenheit auseinandersetzen, und ich müsse mich darauf gefaßt machen, überraschende Dinge zu hören. Ich habe mein
Bestes getan, um mich darauf vorzubereiten, und bin natürlich in hohem Grade auf Eure Mitteilungen gespannt.«
    »Natürlich«, versetzte Mr. Lorry. »Ja … ich …«
    Nach einer Pause fügte er, die Perücke gegen das Ohr rückend, hinzu:
    »Es ist sehr schwer, den Anfang zu finden.«
    Und so fing er lieber nicht an, begegnete aber in seiner Unschlüssigkeit ihrem Blicke. Die junge Stirn furchte sich zu jenem eigentümlichen Ausdruck, der zwar auffallend, aber doch hübsch und charakteristisch war; dabei hob sie ihre Hand, als greife sie mit dieser unwillkürlichen Bewegung nach einem flüchtigen Schatten oder wolle ihn festhalten.
    »Seid Ihr mir ganz fremd, Sir?«
    »Bin ich's nicht?«
    Mr. Lorry öffnete seine Hände und streckte sie mit einem überzeugenden Lächeln aus.
    Die Linie zwischen den Brauen und unmittelbar über dem Mädchennäschen, die so zart und fein wie nur immer möglich war, wurde ausdrucksvoller, als die Miß, nachdenkend, sich auf den Stuhl niederließ, neben dem sie bisher gestanden. Er wandte keinen Blick von dem gedankenvollen Wesen, und sobald sie ihre Augen wieder erhob, fuhr er fort:
    »Ich nehme an, daß ich Euch in Eurem Adoptivvaterlande am besten wie eine junge englische Lady Miß Manette anrede.«
    »Wenn es Euch so beliebt, Sir.«
    »Miß Manette, ich bin ein Geschäftsmann und als solcher beauftragt, ein Geschäft auszurichten. Diesem meinem Auftrag gemäß braucht Ihr mich nicht anders zu betrachten, als ob ich eine sprechende Maschine sei – in der Tat, ich bin auch kaum etwas anderes. Mit Eurer Erlaubnis, Miß, will ich Euch die Geschichte eines unserer Kunden erzählen.«
    »Geschichte?«
    Er schien absichtlich das Wort, das sie wiederholt hatte, nicht zu verstehen, indem er hastig fortfuhr:
    »Ja, eines Kunden. Im Bankgeschäft nennen wir gewöhnlich diejenigen, die mit uns in Geldbeziehungen treten, unsere Kunden. Es war ein Herr aus Frankreich, ein Gelehrter, ein Mann von ausgedehnten Kenntnissen, ein Doktor.«
    »Nicht aus Beauvais?«
    »Nun ja, aus Beauvais. Gleich Eurem Vater, dem Monsieur Manette, war der Herr aus Beauvais und wie Euer Vater auch in Paris sehr angesehen. Ich hatte die Ehre, ihn dort kennenzulernen. Unsere Beziehungen waren geschäftlicher, aber doch vertraulicher Art. Ich arbeitete damals in unserem

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