Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Wickelblätter, die sich auch während der langen Winter hielten, und so mussten Raucher nach anderen Wegen suchen, wie sie ihren Tabak rauchen konnten – also fertigten sie Pfeifen an. Die Trennung von Zigarre und Pfeife scheint zumindest zum Teil klimatische Gründe gehabt zu haben.
Steinpfeifen findet man durchgängig in den Grabhügeln von Ohio, was darauf hindeutet, dass sie im Leben der Menschen, die sie benutzten, eine besondere Rolle gespielt haben müssen. Zwar haben Archäologen ihre genaue Bedeutung noch nicht eruieren können, aber wir dürfen doch als einigermaßen gesichert vermuten, als was man sie betrachtete. So meint etwa die Historikerin Gabrielle Tayac, Kuratorin am National Museum of the American Indian:
«An diesen Pfeifen hängt eine ganze Kosmologie und Theologie. In ihnen kristallisiert sich der Kern der religiösen Lehren. Man betrachtete sie eindeutig als Lebewesen, die man auch entsprechend behandeln sollte, nicht als Objekte oder gar heilige Objekte, die nur lebendig werden und ihre Wirkung entfalten, wenn der Kopf mit dem Stiel verbunden wird. Ist beispielsweise eine Pfeife aus dem roten Pfeifenstein gefertigt, so sieht man in ihr Blut und Knochen eines Büffels. Es gibt Rituale und Initiationsriten, bei denen man als Pfeifenträger an bestimmten Orten eine enorme Verantwortung trägt.»
Wir wissen, dass vor 2000 Jahren nur ausgewählte Mitglieder der Gemeinschaft in den Grabhügeln bestattet wurden. Viele von ihnen dürften bei Ritualen eine Schlüsselrolle gespielt haben, denn bei den Leichen fand man Überreste von Zeremonienkleidung – Kopfschmuck aus Bären-, Wolfs- und Hirschschädeln. Die Tierwelt scheint im spirituellen Leben dieser Völker von zentraler Bedeutung gewesen zu sein – unsere Otterpfeife ist nur ein Exemplar aus einer ganzen Pfeifenmenagerie: Es finden sich Pfeifenköpfe in Form von Wildkatzen, Schildkröten, Unken, Eichhörnchen, Vögeln, Fischen und sogar Vögeln, die gerade einen Fisch verzehren. Vielleicht kam den Tieren auf den Pfeifen eine Rolle in irgendeinem Schamanenritual zu, das physische und spirituelle Welt miteinander in Verbindung brachte. Der Tabak, den man damals rauchte, hieß
Nicotiana rustica
, er sorgte für einen Zustand gesteigerten Bewusstseins und hatte halluzinogene Wirkung: Wenn der Raucher sich also Auge in Auge mit dem Tier auf der Pfeife befand, können wir uns vorstellen, wie der Raucher in eine Art transzendenten Zustand gerät, in dem das Tier lebendig wird. Vielleicht fungierte das Tier jeweils als Geistführer oder Totem für die rauchende Person; im Falle späterer Urvölker Amerikas wissen wir mit Sicherheit, dass die Menschen von einem Tier träumen konnten, dessen Geist sie dann ihr ganzes Leben lang beschützte. Noch einmal Gabrielle Tayac:
«Die indigenen Völker benutzen noch immer Tabak, er ist ein sehr heiliger Gegenstand. Mittels Tabakrauch transformiert man Gebet, Gedanken und den Ausdruck von Gemeinschaft. Pfeifen konnte man entweder für sich rauchen oder in einer Gemeinschaft oder Familie herumgehen lassen, so dass man die geistigen Kräfte vereinen und diese dann in das riesige Universum oder zum Schöpfer oder irgendwelchen Fürsprechern schicken konnte. Spricht man von der ‹Friedenspfeife›, die bei Friedensverhandlungen geraucht wurde, so bedeutet das mehr als nur die Unterzeichnung eines Dokuments. Damit besiegelt man eine Abmachung nicht nur rechtlich, sondern man legt einen Eid ab und bezeugt das gegenüber dem größeren Universum, das heißt, die Abmachung kommt nicht nur zwischen Menschen zustande, sondern zwischen Menschen und den höheren Mächten.»
Selbst heute noch kann das Rauchen bei den «Native Americans» ein spiritueller Akt sein: Der Rauch steigt auf und zerstreut sich, er trägt vereinte Gebete himmelwärts und versammelt damit die Hoffnungen und Wünsche der ganzen Gemeinschaft.
Die Europäer entdeckten das Rauchen erst relativ spät, nämlich im 16. Jahrhundert. Für sie wurde der Tabakkonsum rasch zu etwas, das weniger mit Religion als mit Entspannung zu tun hatte – auch wenn man festhalten muss, dass es von Anfang an Kritiker gab. Keine Warnung eines Gesundheitsministeriums kann es mit der Wucht und Vehemenz des berühmten Anti-Raucher-Pamphlets
Counterblaste to Tobacco
aufnehmen, das der englische König Jakob I. 1604 veröffentlichte, nur ein paar Monate nachdem er aus Edinburgh nach London gekommen war und dort die Nachfolge von Königin Elisabeth angetreten hatte. Der
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