Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
überhaupt dafür gedacht war.
Michael Whittington, Experte für diese Ballspiele, ist der Ansicht, diese Steingürtel seien in erster Linie bei Zeremonien zum Einsatz gekommen:
«Würde man ein Objekt, das fast vierzig Kilo wiegt, während eines sportlichen Wettstreits tragen, würde einen das in beträchtlichem Maß behindern; insoferntrug man diese Gürtel aus Stein wahrscheinlich bei feierlichen Ritualen zu Beginn des Spiels. Sie sehen genauso aus wie die Gürtel, die man während des Ballspiels trug, doch diese echten Gürtel bestanden aus wenig beständigen Materialien und sind deshalb in fast allen Fällen verloren gegangen.»
Augen und Maul der Kröte auf dem Gürtel.
Wir wissen zumindest ein wenig über dieses mesoamerikanische Ballspiel Bescheid, denn es wurde recht häufig von lokalen Künstlern festgehalten, die über Hunderte von Jahren Skulpturen von Spielern und Modelle von Spielfeldern anfertigten, bei denen die Zuschauer auf den Mauern um das Feld sitzen und die Spieler beobachten. Später verfassten europäische Besucher Berichte über das Spiel, und einige extra dafür errichtete Stadien haben sich bis heute erhalten. Als die Spanier eintrafen, staunten sie vor allem über den Ball, mit dem gespielt wurde, denn er bestand aus einer Substanz, die den Europäern vollkommen neu war – aus Gummi. Der erstmalige Anblick eines springenden Balles, eines runden Objekts, das sich scheinbar der Schwerkraft entzog und in die verschiedensten Richtungen prallte, muss extrem verstörend gewesen sein. Der spanische Dominikanerpater Diego Durán lieferte einen Augenzeugenbericht:
«Sie nennen das Material, aus dem dieser Ball ist,
hule
[Gummi] … er springt und federt, auf und ab, hin und zurück. Er kann den, der ihm nachjagt, schon zur Erschöpfung treiben, bevor er ihn sich überhaupt geschnappt hat.»
Das Spiel war keineswegs einfach. Der Gummiball war recht schwer – er konntenur drei oder vier Kilo, aber auch bis zu 15 Kilo wiegen –, und Ziel war, ihn in der Luft zu halten und letztlich in der gegnerischen Hälfte des Feldes landen zu lassen. Hände, Kopf oder Füße durften die Spieler dabei nicht zur Hilfe nehmen, sie mussten ihren Hintern, ihre Unterarme und eben vor allem ihre Hüften benutzen – und da war ein gepolsterter Gürtel von großem Nutzen. Die Gürtel, die tatsächlich im Spiel zum Einsatz kamen, bestanden vermutlich aus Leder, Holz und gewobenen Pflanzen, sie mussten einerseits fest sein, um den Spieler vor dem schweren Ball zu schützen, und andererseits leicht genug, um ihm die nötige Beweglichkeit auf dem Spielfeld zu gestatten. Im Jahr 1528 brachten die Spanier zwei aztekische Spieler nach Europa, und ein deutscher Künstler porträtierte sie mitten im Spiel, Rücken an Rücken, fast nackt, sie tragen nur etwas, das aussieht wie speziell verstärkte Unterhosen, und der Ball fliegt zwischen ihnen hin und her. Die genauen Spielregeln sind unklar und haben sich vermutlich nicht nur im Lauf der Jahrhunderte verändert, sondern waren auch in den einzelnen Gemeinschaften Mittelamerikas unterschiedlich gehalten. Immerhin wissen wir, dass in Mannschaften gespielt wurde, die aus zwei bis sieben Spielern bestanden, und gezählt wurde anhand der Fehler, wie das heute im Tennis der Fall ist. Zu diesen Fehlern gehörte es, wenn man den Ball mit einem verbotenen Körperteil wie der Hand oder dem Kopf berührte, wenn man ihn nicht «retournierte» oder aus dem Spielfeld beförderte.
Die Bälle wurden überdies zu einer Art Währung. Die Spanier verzeichneten als Tributzahlungen der Azteken exakt 16.000 Gummibälle. Viele dieser Bälle haben sich nicht erhalten, doch Grabungen und Funde von Bauern haben in Mexiko und Mittelamerika zumindest einige zu Tage gefördert, dazu Hunderte von Steingürteln wie den unseren sowie Reliefe und Skulpturen aus Stein, die Spieler mit einem solchen Gürtel um die Hüfte zeigen.
Zu der Zeit, da unser Gürtel entstand, also vor rund 2000 Jahren, nutzte man kunstvoll angelegte Steinplätze, die extra für das Spiel gebaut wurden. Viele waren rechteckig und einige verfügten über lange schräge Wände, von denen der Ball abprallen konnte. Die Zuschauer saßen oben auf diesen steinernen Wällen und sahen sich das Spiel an. Tonmodelle zeigen, wie die Anhänger die Spieler bejubeln und das Spiel genießen, so wie das heute Fußballfans tun.
Christoph Weiditz’ zeichnerische Darstellung der beiden mittelamerikanischen Ballspieler am Hof Kaiser
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