Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
schwer, und wenn er schwer ist, verleiht das deinem Schlag natürlich einige Wucht. Zweitens fällt auf, wie wunderbar er in die Handfläche passt, und zwar so,dass eine scharfe Kante von meinem Zeigefinger zu meinem Handgelenk läuft. Was ich jetzt in der Hand halte, ist also ein scharfes Messer. Mehr noch: Der Stein besitzt eine Wölbung, so dass ich ihn an der Kante, die extra abgeschlagen und scharf ist, fest greifen kann … Damit könnte ich auf wunderbar effektive Art Fleisch zerschneiden. Diese Empfindung verbindet mich mit dem Menschen, der den Stein tatsächlich mühsam einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal auf der einen Seite bearbeitet hat und dreimal auf der anderen Seite … insgesamt also acht bewusste Handlungen von ihm, als er den Stein mit Hilfe eines anderen Steins zugehauen hat, um diese fast gerade, scharfkantige Linie hinzubekommen.»
Vor kurzem haben wir ein neues Schneide- und Hackwerkzeug hergestellt, und zwar mit genau den Techniken, die man vermutlich in der Olduvai-Schlucht angewandt hat. Wenn ich den neuen Stein in die Hand nehme, wird deutlich, wie wunderbar ich ihn als Werkzeug benutzen kann, um damit Fleisch von einem Kadaver abzuschneiden. Ich habe es an einem Stück Brathuhn ausprobiert. Mit dem Stein lässt sich schnell und effektiv das Fleisch vom Knochen lösen, und anschließend kann ich den Knochen mit einem Schlag zerbrechen und bis zum Mark vordringen. Ein solches Werkzeug könnte man aber auch dazu verwenden, um Bäume zu entrinden oder Wurzeln zu schälen, damit man sie ebenfalls verzehren kann. Kurz: Wir haben es mit einem höchst vielseitigen Küchengerät zu tun. Zahlreiche Tiere, insbesondere Affen, benutzen Gegenstände; was uns Menschen jedoch von ihnen unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir die Werkzeuge herstellen, bevor wir sie verwenden, und wenn wir sie einmal verwendet haben, behalten wir sie, um sie immer wieder zum Einsatz zu bringen. Mit diesem Stein aus der Olduvai-Schlucht nimmt sozusagen der Werkzeugkasten seinen Anfang.
Die frühen Menschen, die derartige Chopping Tools benutzten, waren vermutlich nicht einmal selbst Jäger, sondern geniale Opportunisten: Sie warteten, bis Löwen, Leoparden oder andere wilde Tiere ihre Beute getötet hatten, und dann kamen sie mit ihren Schneidewerkzeugen, sicherten sich das Fleisch und das Mark und hatten damit das große Protein-Los gezogen. Knochenmarksfett klingt nicht gerade wahnsinnig appetitlich, aber es ist höchst nahrhaft – es sorgt nicht nur für Körperkraft, sondern auch für ein großes Gehirn. Gerade das Gehirn verbraucht ungeheuer viel Energie. Zwar macht es gerade einmal zwei Prozentunseres Körpergewichts aus, aber es verbraucht zwanzig Prozent unserer gesamten Energieaufnahme und muss ständig gefüttert werden. Unsere Vorfahren vor zwei Millionen Jahren sicherten sich also quasi ihre Zukunft, indem sie dem Gehirn die Nahrung gaben, die es zum Wachsen brauchte. Wenn stärkere, schnellere, wildere Raubtiere ihre Beute getötet und sich vor der Hitze in den Schatten zurückgezogen hatten, konnten die ersten Menschen nach Nahrung suchen. Indem sie Werkzeuge wie dieses benutzten, um an Knochenmark zu kommen, den nahrhaftesten Teil eines Kadavers, setzten sie einen uralten
circulus virtuosus
in Gang. Diese Nahrung für Körper und Geist bedeutete, dass die schlaueren Individuen mit den größeren Gehirnen überlebten und ihrerseits Kinder mit größerem Gehirn zur Welt brachten, die ihrerseits wieder in der Lage waren, noch komplexere Werkzeuge herzustellen. Sie und ich, wir sind nichts weiter als die jüngsten Produkte dieses fortwährenden Prozesses.
Das menschliche Gehirn entwickelte sich über Millionen von Jahren weiter. Eine der wichtigsten Errungenschaften war, dass es asymmetrisch wurde, als es eine ganze Reihe verschiedener Funktionen bewältigte – Logik, Sprache, die koordinierte Bewegung, die für die Werkzeugherstellung vonnöten ist, die Vorstellungskraft und das kreative Denken. Die linke und die rechte Hälfte des menschlichen Gehirns haben sich auf unterschiedliche Fertigkeiten und Aufgaben spezialisiert – anders als das Gehirn des Affen, das nicht nur kleiner, sondern auch symmetrisch geblieben ist. Dieses Schneidewerkzeug steht für den historischen Moment, da wir deutlich schlauer wurden und nicht nur Dinge herstellen wollten, sondern uns vorstellten, wie man sie «besser» machen könnte. Noch einmal Sir David Attenborough:
«Dieses Objekt bildet die Grundlage eines
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