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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Abbasiden:
    «Er ließ im Innern große Bilder aus Gold und Silber und ein großes Bassin anfertigen, das außen und innen mit Silberplatten besetzt war, und er ließ darüber einen Baum aus Gold wachsen, in dem die Vögel zwitscherten und pfiffen … für ihn wurde ein gewaltiger Thron aus Gold mit zwei Darstellungen von mächtigen Löwen darauf angefertigt, und auf seinen Stufen waren Löwen, Adler und andere Dinge zu sehen. Die Wände des Palastes waren innen und außen mit Mosaiken und vergoldetem Marmor bedeckt.»
    Das war Bauwahnsinn, der nur ein Ziel hatte: Diese Stadt der Paläste und Kasernen war dazu bestimmt, den Besucher zu blenden, und dazu auserkoren, das unvergessliche Zentrum des riesigen islamischen Reiches zu sein.
    Verborgen in einem Bau mit kleinen Räumen im Palast des Kalifen befanden sich die Haremsquartiere mit Wandmalereien, die Szenen von Genuss und Unterhaltung zeigten, und hier wurden unsere Porträtfragmente gefunden. Sie zeigen uns die Gesichter der Sklaven und Diener des Kalifen, die Frauen und möglicherweise die jungen Männer dieser intimen Welt und ihrer Freuden. Die Frauen, die in diesen Räumen wohnten, waren Sklavinnen, aber solche, die beachtliche Privilegien genossen. Amira Bennison, die Islamwissenschaften an der Universität Cambridge lehrt, erläutert die erhaltenen Porträts:
    «Sie weisen auf die für die Kalifen dargebotene Unterhaltung hin, die von Versammlungen mit Intellektuellen und religiösen Gelehrten bis hin zu leichteren Veranstaltungen reichte, wo Personen wie jene der Wandmalereien, tanzende oder singende Mädchen, vor den Herrschern auftraten. Eines ist hierbei wichtig anzumerken, nämlich dass diese Frauen in hohem Maße ausgebildet waren – ein wenig wie Geishas. Teil des Haushalts des Kalifen zu werden – ein besseres Wort als Harem – war tatsächlich etwas, das Frauen anstreben konnten, und wenn man von niederer Abstammung war, aber gut singen oder tanzen konnte und anständig trainierte, war dies durchaus ein Karriereschritt.»
    Hier konnten Genusssucht und Ausschweifung herrschen. Kalif al-Mutawakkils Sinn für Humor scheint nicht besonders ausgeprägt gewesen zu sein, schleuderte er doch einen seiner Hofpoeten, Abu al-’Ibar, wiederholt in einen seiner Zierteiche. Eine weniger harmlose Geschichte aus
Tausendundeine Nacht
ist der Bericht von al-Mutawakkils Ermordung nach einer von seinen singenden Mädchen gestalteten Nacht voller Musik. Nachdem der betrunkene Kalif heftig mit seinem Sohn gestritten hatte, so erzählt uns die Geschichte, wurde er von seinen türkischen Soldaten getötet, während die Mädchen und Höflinge vor Schrecken auseinanderstoben.
    Dieses Märchen aus
Tausendundeine Nacht
ist wahr. Al-Mutawakkil wurde 861 tatsächlich von seinen türkischen Heeresführern ermordet, und sein Tod war der Anfang vom Ende für Samarra als Hauptstadt. Innerhalb eines Jahrzehnts war die Armee abgezogen, Bagdad erlangte seinen Status als Hauptstadt wieder zurück und ließ den Palast in Samarra wie einen verfallenden Geist hinter sich. Die Hoflöwen wurden niedergerissen und die Sklavenmädchen und Sängerinnen unserer Porträts vertrieben. Die letzte Münze, die in Samarra geprägt wurde ist, auf das Jahr 892 datiert.
    Samarra wurde errichtet, als die heroische Zeit der Abbasiden zu Ende ging, und in gewisser Weise ist die Stadt ein Monument ihres politischen Niedergangs. Die Spannungen, die zur Ermordung von al-Mutawakkil geführt hatten, führten letztlich zur Zersplitterung des Reiches. Ein Dichter, der in das nunmehr verfallende Samarra verbannt worden war, sinnierte elegisch über dessen Untergang:
    «Mein Umgang mit der Stadt, als sie bevölkert und fröhlich war,
    War achtlos angesichts der Desaster der Zeit und ihrer Unbilden.
    Dort stolzierten die Löwen eines Reiches
    um einen gekrönten Imam;
    Dann wurden seine Türken zu Verrätern – und sie wurden verwandelt
    In Eulen, die über Verlust und Zerstörung klagen.»
    Samarra war für weniger als 50 Jahre die Hauptstadt eines bedeutenden Reiches, aber als Grabstätte von zwei der großen Imame ist es noch immer ein wichtiger Pilgerort in der Welt des schiitischen Islam. Das moderne Samarra hat auch eine tragische Geschichte: 2006 wurde die große Kuppel der berühmten al-Askari-Moschee von Bomben zerstört. Ein Jahr später wurden die archäologischenRuinen der alten Stadt, zu denen auch die große Moschee mit ihrem berühmten spiralförmigen Minarett gehört, von der UNESCO zum

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