Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
ihnen sind arabischen Ursprungs, und einige kommen aus dem Mittelspanischen. So können wir etwa neben einem Stern in der Konstellation, die wir Aquila – den Adler – nennen, auf Hebräisch
nesher me’offel
– ‹der fliegende Adler› – geschrieben sehen. Aber andere Sterne sind auf Arabisch benannt: So hat Aldebaran im Taurus seinen arabischen Namen
al-dabaran
, geschrieben in hebräischen Buchstaben. Und liest man die hebräischen Zeichen für die Monatsnamen, dann geben sie die Namen des Mittelspanischen für Oktober, November, Dezember wieder. Was Sie also hier vor Augen haben, ist das Wissen der Astronomen des klassischen Griechenland, die den Himmel kartographisch erfassten, in Kombination mit den Beiträgen der muslimischen, jüdischen und christlichen Gelehrten – und das alles im Palm in ihrer Hand.»
Das Spanien, in dem dieses Astrolabium angefertigt wurde, war der einzige Ort im christlich beherrschten Europa, an dem es eine signifikante Zahl muslimischer Einwohner gab. Ebenso war ein Großteil der jüdischen Bevölkerung hier beheimatet. Zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhundert war die Vermischung der Völker dieser drei Religionen im mittelalterlichen Spanien eines der prägendsten Merkmale der Gesellschaft. Natürlich gab es Spanien als Land noch nicht – im 14. Jahrhundert befand sich dort noch immer ein Flickenteppich verschiedener Staaten. Der größte unter ihnen war Kastilien, das an den letzten unabhängigen muslimischen Staat der Halbinsel, das Königreich von Granada, angrenzte. In vielen Teilen des christlichen Spanien gab es zahlreiche Juden und Muslime.Diese drei Bevölkerungsgruppen bewahrten ihre eigenen Traditionen, fanden aber eine gemeinsame Lebensform, die man als frühes Beispiel des Multikulturalismus bezeichnen könnte. Diese Koexistenz, die in jener Epoche der europäischen Geschichte sehr selten war, wird oft mit dem spanischen Ausdruck
convivencia
umschrieben.
Der Spanienhistoriker Sir John Elliott erklärt, wie diese gemischte Gesellschaft entstand:
«So wie ich das sehe, ist der Kern des Multikulturalismus die Erhaltung der eigenen Identität der verschiedenen Religionen und ethnischen Gemeinschaften in einer Gesellschaft. Und unter der islamischen Herrschaft war es lange Zeit die Politik der Machthaber, diese Vielfalt zu akzeptieren, auch wenn sie Christen und Juden als Anhänger minderwertigerer Glaubensrichtungen ansahen. Als die Christen die Herrschaft übernahmen, verhielten sie sich fast genauso, weil sie nicht wirklich eine andere Option hatten, aber da zu der Zeit Mischehen in diesen Gemeinschaften natürlich verboten waren, handelte es sich um einen eingeschränkten Multikulturalismus. Das konnte aber eine wechselseitige Beeinflussung, vor allem auf kultureller Ebene, nicht verhindern. Das Ergebnis war also, aufgrund dieser Kontakte zwischen allen drei Bevölkerungsgruppen, eine pulsierende, kreative und unvergleichliche Zivilisation.»
Einige Jahrhunderte zuvor hatte diese wechselseitige Interaktion dazu geführt, dass das mittelalterliche Spanien alle anderen Länder Europas an Bildung und Wissen übertraf. Über neue wissenschaftliche Erkenntnisse rund um astronomische Instrumente wie unser Astrolabium hinaus, wurden in Spanien auch die Werke der antiken griechischen Philosophen, vor allem von Aristoteles, ins Lateinische übersetzt und konnten so in den geistigen Blutkreislauf des mittelalterlichen Europa gelangen. Dieses zukunftweisende Unterfangen verlangte den ständigen Austausch zwischen muslimischen, jüdischen und christlichen Gelehrten, und mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts war dieses wissenschaftliche Vermächtnis bereits Teil des europäischen Gedankenguts geworden – im Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin ebenso wie in der Philosophie und Theologie. Das Astrolabium wurde zum unverzichtbaren Werkzeug für Astronomen, Astrologen, Ärzte, Geographen und im Grunde für jeden mit geistigen Bestrebungen – sogar für einen zehnjährigen englischen Jungen wie Chaucers Sohn. Letztlich aber wurde dieses komplizierte Ding, das so vieles konnte, durcheine Reihe einzelner Instrumente ersetzt – den Globus, die gedruckte Landkarte, den Sextanten, das Chronometer, den Kompass, die jeweils eine der zahlreichen Funktionen erfüllten, die das Astrolabium alle vereint bewältigte.
Das gemeinsame Erbe von islamischen, christlichen und jüdischen Denkern überlebte die Jahrhunderte, aber die c
onvivencia
der drei Glaubensrichtungen ging
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