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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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gehörte, spiegelt viele kulturelle und religiöse Aspekte dieser komplexen Geschichte wider.
    Die Mondoberfläche ist mit Hunderten von Kratern übersät. Für den Betrachter bieten sie Faszination und Strukturierung, aber auch ihre Namensind ausgesprochen interessant: Sie bilden eine Art Lexikon bedeutender Wissenschaftler. Nach Halley, Galilei, Kopernikus und vielen anderen Astronomen sind die Krater benannt – auch nach Ulug Beg, der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Zentralasien gelebt hat. Ulug Beg ließ in Samarkand im heutigen Usbekistan ein großes Observatorium errichten und stellte einen Katalog mit mehr als tausend Sternen zusammen, der in ganz Asien und Europa als Standardnachschlagewerk diente und im 17. Jahrhundert in Oxford ins Lateinische übersetzt wurde – was ihm die Ehre einbrachte, Namensgeber für einen Mondkrater zu sein. Darüber hinaus herrschte Ulug Beg für kurze Zeit über eine der größten Weltmächte – das Reich der Timuriden, das in seiner Blütezeit neben Zentralasien auch Iran, Afghanistan und Teile des Irak, von Pakistan und Indien umfasste. Das Reich der Timuriden war um 1400 von Tamerlan, dem berüchtigten Eroberer, gegründet worden. Der Name seines Enkels Ulug Beg ist, wie unten abgebildet, in unseren Becher eingraviert.

    Der usbekische Journalist Hamid Ismailov erklärt:
    «Es ist ungemein aufregend, dass dieser Becher Ulug Beg gehörte, weil ich hier seinen Namen in arabischer Sprache lesen kann und ich mir vorstelle, dass er daraus trank, während er die Sterne beobachtete. Es ist überwältigend.»
    Ulug Begs Becher ist oval, etwas über fünf Zentimeter hoch – eher eine kleine Schale als ein Becher – und aus feinkörniger Jade gefertigt, deren olivgrün schimmernde Oberfläche von natürlichen wolkenartigen Maserungen durchzogen ist. Es ist ein wunderbarer Stein, aber Jade wurde in Zentralasien nicht nur ihrer Schönheit wegen geschätzt, sondern ihr wurde auch eine schützende Funktion zugeschrieben: gegen Blitzschlag und Erdbeben und – bei einem Trinkgefäß besonders wichtig – gegen Vergiftung. Gäbe man Gift in ein Jadegefäß, so hieß es, dann würde dieses zerspringen. Der Besitzer dieser Tasse konnte also ganz unbesorgt trinken.
    Den Griff des Bechers bildet ein prachtvoller chinesischer Drache. Er stemmt sich mit den Hinterbeinen fest gegen den unteren Rand des Bechers, während die mit Schwimmhäuten bewehrten Vorderfüße den oberen Rand umfassen. Der Drache lugt über den Rand des Bechers, und sein gekrümmter Körper bildeteinen Henkel, durch den man den Finger stecken kann. Es ist eine sinnliche, vertraute Berührung.
    Der Stil des Henkels mag chinesisch sein, aber der eingravierte Text – «Ulug Beg Kuragan» – ist arabisch. Kuragan ist ein Titel, der wörtlich übersetzt «königlicher Schwiegersohn» lautet und sowohl von Tamerlan als auch später von seinem Enkel Ulug Beg geführt wurde. Beide hatten in die Familie Dschingis Khans eingeheiratet, und indem sie sich als Schwiegersöhne betitelten, erklärten sie sich zu rechtmäßigen Erben des mongolischen Weltherrschaftsanspruchs des Dschingis Khan.
    Der Becher wurde vermutlich in Samarkand gefertigt, sein Henkel verbindet ihn mit China im Osten, seine Inschrift mit der islamischen Welt im Westen. Die arabische Inschrift erinnert daran, dass das von Tamerlan gegründete Reich der Timuriden durch und durch muslimisch war. Es war die Zeit, in der die großen Moscheen in Buchara und Samarkand, in Taschkent und in Herat errichtet wurden, Bauwerke von monumentalem Gepränge, die eine zentralasiatische Entsprechung der europäischen Renaissance repräsentierten.
    Seit etwa 1410 regierte Ulug Beg als Statthalter seines Vaters in Samarkand, und hier ließ er das Observatorium errichten, in dem er die astronomischen Berechnungen des Griechen Ptolemäus überprüfte und berichtigte – die gleiche Verbindung klassisch-griechischen und arabischen Wissens, wie wir sie bei dem hebräischen Astrolabium des Mittelalters(siehe Kapitel 62) gesehen haben. Aber dieser zentralasiatische Renaissanceprinz schlug nicht nach seinem kriegerischen, machthungrigen Großvater. Die Historikerin Beatrice Forbes Manz beschreibt ihn so:
    Die arabische Inschrift lautet «Ulug Beg Kuragan».
    Eine spätere Reparaturauflage trägt eine türkische Inschrift: «Gottes Güte ist grenzenlos».
    «Er war ein miserabler Befehlshaber und sicher in vieler Hinsicht kein guter Statthalter. Aber er war ein

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