Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Asien ein dünnes Netz von Haltestationen – Häfen und Handelsniederlassungen – und verschifften auf dieser Route Gewürze und andere exotische Handelswaren und eben auch unser Rhinozeros nach Europa.
Dürers
Rhinocerus
ist ein Holzschnitt. Er zeigt ein wuchtiges Tier, über seinem Kopf die Jahreszahl 1515, das Wort RHINOCERVS, damit der Betrachter weiß, was er hier vor sich hat, sowie das typische Monogramm AD des Künstlers. Das Nashorn ist von der Seite zu sehen und hat den Kopf nach rechts gewandt. Dürer hat es geschickt in einen so engen Rahmen gestellt – der Schwanz teilweise vom linken Bildrand abgeschnitten, das Horn aggressiv gegen den rechten Rand gestemmt –, dass der Eindruck von geballter, angestauter Kraft entsteht. Dieses Tier, so denkt man, wird versuchen auszubrechen – und es wird Ärger machen.
Über dem Rahmen am oberen Bildrand steht ein Text, der besagt:
«Nach Christus gepurt/1513. Jar Adi 1. May. hat man dem großmechtigisten Kunig von Portugal Emanuel gen Lysabona pracht aus India/ein sollich lebendig Thier. Das nennen sie Rhinocerus. Das ist hye mit aller seiner gestalt Abcondertfet. Es hat ein farb wie ein gespreckelte Schildkrot. Und ist von dicken Schalen uberlegt fast fest. Und ist in der größ als der Helfandt. Aber nydertechtiger von paynen und fast werhafftig … Sie sagen auch das der Rhinocerus Schnell/Fraydig und Listig sey.»
Aus der Geschichte, wie das Nashorn nach Europa kam, erfahren wir, dass die Portugiesen nicht nur Handel mit Indien trieben, sondern auch bestrebt waren, dort eine Reihe dauerhafter Niederlassungen zu gründen – es war der Beginn dereuropäischen Präsenz in Asien. Dass ihnen dies gelang, hatten sie vor allem Alfonso de Albuquerque zu verdanken, dem Mann, der das portugiesische Kolonialsystem begründet hat und Gouverneur von Portugiesisch-Indien war – und uns das Rhinozeros brachte. 1514 stattete Albuquerque dem Sultan von Gujarat einen Besuch ab, um mit ihm über die Nutzung einer Insel zu verhandeln, und unterstrich seine diplomatische Mission mit einer Fülle von Geschenken. Der Sultan revanchierte sich seinerseits mit Geschenken – zu denen ein lebendiges Rhinozeros gehörte. Offenbar wusste Albuquerque mit diesem lebenden Geschenk nichts Rechtes anzufangen, weshalb er das Tier mit der nächstbesten portugiesischen Flottille, die vorüberkam, nach Lissabon verfrachten ließ, wo es dem portugiesischen König als besonderes Geschenk übergeben werden sollte. Es muss eine echte Herausforderung gewesen sein, ein Nashorn von eineinhalb bis zwei Tonnen Gewicht auf ein Schiff des 16. Jahrhunderts zu schaffen.
In einem kleinen italienischen Gedicht wird die Reise gefeiert, die Europa in Erstaunen versetzte:
«Ich bin das Rhinozeros, das aus dem dunklen Indien hierher gebracht worden ist,
Von dem Vorplatz des Lichts und dem Torweg des Tages.
Ich reiste mit der Flotte nach Westen, die starken Segel unverzagt,
Sich in neue Länder wagend, eine andere Sonne zu sehen.»
Das Nashorn trat seine Reise von Indien Anfang Januar 1515 an. Mit ihm an Bord waren sein indischer Pfleger Osem sowie gewaltige Mengen Reis – eine seltsame Ernährungsweise für ein Nashorn, aber wesentlich platzsparender als sein übliches Futter. Wir wissen nicht, ob ihm der Reis schmeckte, aber offensichtlich bekam er ihm gut, und nach einer 120tägigen Seereise, die nur in drei Häfen – in Mosambik, auf St. Helena und auf den Azoren – unterbrochen wurde, kam es schließlich am 20. Mai in Lissabon an. Die Menschen liefen in Scharen herbei, um es zu bestaunen.
Das Nashorn landete in einem Europa, das besessen war von einer möglichen Zukunft fern seiner Küsten, aber auch von der Wiederentdeckung seiner fernen Vergangenheit innerhalb der eigenen Grenzen. In Italien wurde viel Aufhebens um die Ausgrabung von Bauwerken und Statuen aus dem alten Rom gemacht, archäologische Forschung, die das Leben der klassischen Antike auferstehen ließ. Die Ankunft des Panzernashorns – dieses exotischen Geschöpfes aus Asien – warfür gebildete Europäer ebenfalls ein Stück wiederbelebte Antike. Der römische Schriftsteller Plinius hatte eines dieser Tiere beschrieben, die bei den Spielen in römischen Amphitheatern eine wichtige Rolle spielten, aber man hatte in Europa seit über tausend Jahren kein Nashorn mehr gesehen. Es war eine aufregende Wiederauferstehung der Antike – eine Art lebende zoologische Renaissance, behaftet mit dem zusätzlichen Reiz der exotischen
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