Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
hervorragender Förderer der Kultur, berühmt vor allem für das, was er zur Förderung von Mathematik und Astronomie getan hat. Das waren seine wirklichen Interessen, viel mehr als Regierungsgeschäfte und Kriegführung, glaube ich. Er hatte im Übrigen eine Vorliebe für Jade, so dass es nicht verwunderlich ist, dass sich dieser Becher in seinem Besitz befand. An seinem Hof ging es relativ hoch her, nicht annähernd so streng wie an dem seines Vaters. Ulug Beg war gläubig, er wusste den Koran auswendig, aber er nahm sich, wie viele Regierende, seine Freiheiten. So wurde an seinem Hof beispielsweise jede Menge getrunken.»
Ein Gesandter der chinesischen Ming-Regierung, der Samarkand um 1450 besuchte, war erschüttert über die losen Sitten in der Hauptstadt der Timuriden, wo das Leben immer noch geprägt war von der unbekümmerten Lässigkeit einer halbnomadischen Gesellschaft. Es war eine eigenartige Stadt, in der moderne Gebäude und traditionelle Zelte, Yurten, die die Timuriden aus den Steppen mitgebracht hatten, nebeneinander existierten. Für den feinen Herrn aus China war Samarkand der Wilde Westen:
«Sie kennen keine Regeln und keinen Anstand. Wenn Untergebene Personen höheren Standes begegnen, gehen sie aufeinander zu, schütteln sich die Hände, und das ist alles! Wenn Frauen das Haus verlassen, reiten sie auf Pferden und Eseln. Wenn sie auf der Straße Bekannte treffen, unterhalten sie sich, lachen und albern schamlos herum. Und nicht nur das, sie geben dabei sogar schmutzige Worte von sich. Die Männer treiben es noch schlimmer.»
Wahrscheinlich ist es nicht verwunderlich, dass das Reich der Timuriden, das nur durch persönliche Loyalitäten zusammengehalten wurde, nicht lange Bestand hatte. Es wurde von Menschen regiert, die sich in den Steppen mehr zu Hause fühlten als in einer Amtsstube. Es gab keine irgendwie geordnete zentralisierte Staatsführung und nicht einmal ansatzweise einen funktionierenden Beamtenapparat. Wenn ein Herrscher starb, entstand Chaos. Ulug Begs Vater hatte sich nach Kräften bemüht, das Reich der Timuriden wieder zu festigen, aber als er 1447 starb, dauerte Ulug Begs Regentschaft nur noch zwei Jahre, dann verlor er endgültig die Herrschaft über sein Land. Er versuchte verzweifelt, sich Tamerlans Ruhm zunutze zu machen, um sich selbst mehr Autorität zu verschaffen, indem er für den Leichnam seines Großvaters einen Sarkophag aus schwarzer Jade fertigen und in arabischer Sprache darauf schreiben ließ: «Wenn ich mich erhebe, wird die Erde erzittern.» Er muss sich nach der Wiederbelebung einer Macht gesehnt haben, von der er wusste, dass er sie nie erlangen würde. Vor Ulug Beg würde die Erde kaum erzittern. Hamid Ismailov erkennt in seinem grünen Jadebecher eine poetische, metaphorische Bedeutung:
«In der ganzen Region wird diesem Becher eine symbolhafte Bedeutung als Schicksalskünder eines Menschen beigemessen. Wenn wir sagen: «Der Becher ist gefüllt», dann hat sich das Schicksal erfüllt. So schreibt beispielsweise Babur, der nicht nur ein großer Dichter, sondern auch Ulug Begs Neffe war, in einem seiner Gedichte, die Heere der Traurigkeit seien ohne Zahl und man könne sie nur mit stärkerem Wein und einem Becher als Schild besiegen. Darin liegt der Symbolgehalt des Bechers – er ist ein Schild, ein symbolischer Schutzschild gegen die Heere der Traurigkeit.»
Aber der Schild versagte Ulug Beg letztlich seinen Dienst, und gegen Ende seines Lebens sah sich dieser von den Heeren der Traurigkeit umzingelt. Seine Herrschaft über das Reich war ebenso kurz wie verheerend. Ein sehr reales Heer fielin Samarkand ein, und Ulug Beg wurde 1449 besiegt und von seinem eigenen Sohn gefangengenommen und einem Sklaven übergeben, der ihn enthauptete. Doch Ulug Beg geriet nicht in Vergessenheit. Sein Großneffe Babur, der erste Großmogul von Indien, erwies ihm die letzte Ehre und bestatte ihn in dem gleichen Mausoleum aus schwarzer Jade, in dem auch die sterblichen Überreste des großen Tamerlan ruhten.
Zu dieser Zeit war das Reich der Timuriden bereits Geschichte. Wieder einmal zerfiel Zentralasien in viele kleine Teile und wurde zum Schauplatz im Kampf der widerstreitenden Interessen und Einflüsse, an dem auch die neue Großmacht des Westens, das Osmanische Reich, beteiligt war. Auch diese Entwicklung ist in unserem Becher dokumentiert. Irgendwann, wahrscheinlich lange nach Ulug Begs Tod, muss der Becher heruntergefallen sein, denn er weist auf der einen Seite einen
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