Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
kostbarer waren als Gold – Türkismosaike.
Als einige dieser Mosaike sowie andere Kunstschätze der Azteken in den 1520er Jahren erstmals von den Spaniern nach Europa gebracht wurden, sorgten sie für beträchtliches Aufsehen – war es doch der erste Blick auf eine für Europäer bis dahin vollkommen unbekannte Hochkultur des amerikanischen Doppelkontinents, die der ihren an Zivilisiertheit und materiellem Wohlstand offenkundig in nichts nachstand. Unsere doppelköpfige Schlange gehört zu den kunstvollsten und faszinierendsten der wenigen noch erhaltenen aztekischen Hinterlassenschaften.
Die Schlange ist aus rund 2000 kleinen, auf einen Holzkorpus aufgebrachten Türkisplättchen gefertigt, sie ist etwa 40 Zentimeter breit und halb so hoch. Man sieht die Schlange, die aus einem Körper mit zwei Köpfen besteht, im Profil; ihr Körper ist W-förmig gebogen, den Abschluss bildet auf beiden Seiten ein Kopf mit gefährlich gebleckten Zähnen. Für den Körper der Schlange wurde ausschließlich Türkis verwendet, doch die Zahnreihen, deren krönenden Abschluss riesige furchterregende Giftzähne bilden, bestehen aus weißen, Schnauze und Rachen aus leuchtend roten Muschelscherben. Wenn man die Schlange aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und das Licht auf den Türkisscherben spielen lässt, wirken die wechselnden Farben lebendig, und die Mosaikstücke sehen eher aus wie Federn, die in der Sonne schimmern, nicht wie das Schuppenkleid einer Schlange. Das Objekt ist Schlange und Vogel zugleich. Es ist geheimnisvoll und irritierend, ein meisterhaftes Kunstwerk und Träger einer ursprünglichen Kraft. Man spürt die Magie, die in ihm steckt.
Wir erhalten eine Menge nützlicher Informationen, wenn wir uns ansehen, wie die Schlange gemacht wurde. In der Konservierungsabteilung des Britischen Museums hat Rebecca Stacey nicht nur die Materialien untersucht, aus denen das Objekt zusammengesetzt ist, sondern auch die Harze, die als Leim dienten, um die mehr als 2000 Stücke zusammenzuhalten.
«Wir haben eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt und uns die verschiedenen Muschelsorten angesehen, die verwendet wurden. Die leuchtend roten Muschelscherben um Maul und Nase stammen von der Stachelauster, die im präkolumbianischen Mexiko eine außerordentlich begehrte Muschel war, einerseits wegen ihrer spektakulären scharlachroten Farbe, aber auch, weil man sehr tief danach tauchen musste. Selbst die verwendeten Klebestoffe, ausnahmslos Pflanzenharze,hatten eine rituelle Bedeutung, da sie auch als Räucherwerk und Opfergaben dienten – sie führten ein eigenes rituelles Leben. Zur Verwendung kamen verschiedene Pflanzenharze: das ziemlich bekannte Kiefernharz ebenso wie das duftende tropische Bursera-Harz, das viel aromatischer ist und in Mexiko noch heute als Räucherwerk Verwendung findet.»
Die Bestandteile dieses magischen Objekts werden also – fast buchstäblich – vom Leim des Glaubens zusammengehalten. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass Türkis im Aztekenreich über gewaltige Strecken transportiert wurde – manche Stücke legten vom Ort ihrer Gewinnung bis nach Tenochtitlán, dem heutigen Mexiko-Stadt, mehr als 1500 Kilometer zurück. Mit Gütern wie Türkis, Muscheln und Harzen wurde in der Gegend reger Handel getrieben, aber wahrscheinlicher ist es, dass die zur Herstellung unserer Schlange verwendeten Materialien als Tribut von Völkern eingetrieben worden waren, die die Azteken unterworfen hatten. Das Aztekenreich war in den 1430er Jahren, weniger als ein Jahrhundert vor der Ankunft der Spanier, gegründet worden, und es behauptete und mehrte seine Macht durch militärische Stärke und Abgaben in Form von Gold, Sklaven und Türkis, die regelmäßig (und widerwillig) aus den unterworfenen Provinzen nach Tenochtitlán geschickt wurden. Die Reichtümer, die durch ausgedehnten Handel und Zwangsabgaben zusammenkamen, versetzten die Azteken in die Lage, Straßen und Dammwege, Kanäle und Aquädukte zu bauen und große Städte anzulegen – urbane Landschaften, die die Spanier auf ihrem Zug durch das Reich in Staunen versetzten:
«Am nächsten Morgen erreichten wir die Hauptstraße nach Iztapalapa. Von dort aus sahen wir alle zum erstenmal die große Zahl der Städte und Dörfer, die mitten in den See gebaut waren, und die noch weitaus größere Zahl der Ortschaften an den Ufern, und schließlich die sehr gepflegte, kerzengerade Straße, die in die Stadt Mexiko führte. Wir waren baß erstaunt über
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