Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Europäer fanden komplexe, dynamische Gesellschaften vor, von deren künstlerischen und kulturellen Errungenschaften sie in vieler Hinsicht beeindruckt waren … Wie konnte eine solche Kultur an Orten entstanden sein, die so weit entfernt waren von den großen Zentren der klassischen Zivilisation?»
In vieler Hinsicht schienen die Verhältnisse nicht so viel anders zu sein als im Europa des 18. Jahrhunderts. Eine Oberschicht, die sich aus wenigen Häuptlingsfamilien und Priestern zusammensetzte, herrschte über eine große Volksgruppe. Auf die herrschende Klasse folgten in der Hierarchie die Berufsstände der Handwerker, Bauleute, Sänger und Tänzer, Ahnenforscher und Heiler, für deren Unterhalt die Masse der Bevölkerung sorgte. Kyle Nakanelua von der Hawaii-Insel Maui hat sich den Helm genauer angesehen:
«Wenn man bedenkt, dass man einem Vogel nur vier von diesen Federn ausreißen kann und dass dieser Helm, wie es aussieht, ungefähr 10.000 Federn hat, dann kann man sich vorstellen, wie viele Vögel man dafür braucht. Ein Häuptling hat also zu einer bestimmten Zeit eine ganze Schar von Leuten nur damit beschäftigt, diese Federn zu sammeln, zu lagern und zu pflegen und dann diese Art von Objekten daraus herzustellen. Das sind sicher 150 bis 200 Menschen, die diesen Beschäftigungen nachgingen, und es kann sein, dass sie die Federn über Generationen gesammelt haben, bevor sie verarbeitet wurden.»
Die Häuptlinge opferten Federhelme, um mit den Göttern in Verbindung zu treten – um eine gute Ernte von ihnen zu erbitten oder um Unheil wie Hungersnöte oder Krankheiten abzuwenden oder um sie vor einer Schlacht gnädig zu stimmen. Die Federhelme hatten eine ähnliche Funktion wie die pompösen Helme und Wappen mittelalterlicher Ritter – es waren auffällige und weithin sichtbare Attribute, die ein Heeresführer trug, wenn er seine Männer in die Schlacht führte. Und vor allem öffneten die Federhelme das Tor zu den Göttern. Aus den Federn von Vögeln gefertigt, die selbst Erscheinungsformen des Göttlichen und Mittler zwischen Himmel und Erde waren, verliehen sie ihrem Träger magischen Schutz und übernatürliche Kraft. Lassen wir Nicholas Thomas noch einmal zu Wort kommen:
«Federn galten als besonders heilig, nicht nur, weil sie schön anzusehen waren, sondern weil sie mit dem Göttlichen assoziiert wurden. Der Legende nach wurden die Götter als Säuglinge geboren und waren bei ihrer Geburt statt mit Haut mit Federn bedeckt, gewissermaßen mit göttlicher Kraft getränkt und mit dem Jenseits verbunden, vor allem, wenn die Federn die heiligen Farben rot und gelb hatten.»
Solche Vorstellungen waren Cook nicht vollkommen fremd. Natürlich wurden Könige in England nicht mit einem Federkleid geboren, aber sie waren Monarchen von Gottes Gnaden, die in prunkvollen Roben priesterliche Kulthandlungen zelebrierten, bei denen der Heilige Geist in Gestalt eines Vogels gegenwärtig war. Cook interpretierte die hawaiianische Gesellschaft offenbar grundsätzlich so wie seine eigene. Allerdings begriff er die Bedeutung des Heiligen und dessen Absicherung durch abschreckende Verbote in dieser Gesellschaft nicht. Das Wort Tabu, das aus dem Polynesischen stammt, hat einen zugleich heiligen und todbringenden Anklang.
Als Cook im Dezember 1778 auf Hawaii landete, wurde dort gerade ein Fest zu Ehren des Gottes Lono gefeiert, und es war die Jahreszeit des Friedens. Er wurde vom obersten Häuptling in aller Form begrüßt – man legte ihm einen voluminösen Federumhang um und setzte ihm einen Federhelm auf den Kopf. Er wurde, mit anderen Worten, wie ein großer Häuptling von göttlichem Rang empfangen. Er lebte einen Monat lang in Frieden auf Hawaii, nahm notwendige Reparaturarbeiten an seinen Schiffen vor und führte präzise Vermessungen derInsel durch. Dann stach er wieder in See und nahm Kurs auf Norden, doch nach einem Monat zwang ihn ein unerwarteter Sturm, nach Hawaii zurückzukehren. Dieses Mal war alles anders. Inzwischen war die Jahreszeit des Kriegsgottes Ku angebrochen; die Einheimischen waren längst nicht mehr so freundlich, und es kam zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen und der Mannschaft, in deren Verlauf ein Boot von einem der Schiffe gestohlen wurde. Cook entschloss sich, eine Taktik anzuwenden, die sich schon bei anderer Gelegenheit bewährt hatte: Er wollte den Häuptling zu sich einladen und ihn dann so lange als Geisel auf seinem Schiff festhalten, bis das gestohlene Boot zurückgebracht
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