Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
lässt, um den Briten zu zeigen, wie lächerlich ihr Verhalten in den Augen anderer erscheinen muss. Der erwähnte Krieg ist der Siebenjährige Krieg zwischen Großbritannien und Frankreich, ein zäher, in Europa, Asien, Afrika und Amerika ausgetragener Kampf um Territorien und Handelsrechte. Bei dem «schrecklichen Land» handelt es sich, so stellt sich heraus, um Kanada. Goldsmith stellt unmissverständlich klar, dass Briten wie Franzosen die rechtmäßigen Bewohner der von ihnen erst erforschten und dann ausgebeuteten Länder rücksichtslos ausplündern.
Von Kanada aus verschob sich die Kriegsfront Richtung Süden, und unsere auf Hirschhaut gezeichnete Karte zeigt einen Teil des Gebietes, in das die Briten im Zuge ihrer Bemühung vorstießen, sämtliche Forts der Franzosen von den Großen Seen im Norden bis zum Mississippi und St. Louis im Süden einzunehmen. Sie wurde um 1774 von einem amerikanischen Ureinwohner angefertigt – einem jener Menschen, die, um mit Goldsmith zu reden, seit «unerdenklichen Zeiten» im Besitz des Landes waren – und gibt uns einen Einblick in die dreizehnjährige Zeitspanne zwischen 1763, dem Jahr, in dem die Franzosen endgültig von den Briten aus Nordamerika verjagt wurden, und dem Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1776.
Am Ende des Siebenjährigen Krieges gehörten England alle Gebiete westlich der bereits bestehenden britischen Kolonien von den Großen Seen bis zum Mississippi. Das ist der Ausschnitt, der auf unserer Karte zu sehen ist. Doch nun, da die Franzosen das Feld geräumt hatten, sahen sich die britischen Kolonialverwaltungen gezwungen, sich mit ihren eigenen Landsleuten herumzuschlagen. Britische Siedler, die begierig waren, in den Westen zu ziehen, setzten sich über bereits mit den Wortführern der amerikanischen Ureinwohner getroffene Vereinbarungen hinweg und handelten widerrechtlich eigene Verträge mit einzelnen Stämmen aus – künftige Konflikte waren damit vorprogrammiert. Im Rahmen eines dieser Geschäfte wurde unsere Karte gezeichnet. In ihr treffen nicht nur zwei verschiedene Welten aufeinander, sondern zwei verschiedene Vorstellungen von der Welt. Die Grenzen zwischen den Gebieten, um die verhandelt wurde, waren gleichzeitig die Grenzen zwischen zwei Kulturen, die in ihrer Vorstellungswelt, ihrem religiösen Leben und ihrer Gesellschaftsordnung vollkommen verschieden waren. Für Europäer war das Kartographieren ein Mittel der Macht – intellektueller Macht durch das Wissen von der Welt, aber auch militärischer Macht. Den amerikanischen Ureinwohnern ging es beim Kartographieren um etwas ganz anderes.
Unsere Karte ist etwa 100 mal 126 Zentimeter groß, ihre Form ist durch die Hirschhaut vorgegeben, auf die sie gezeichnet wurde. Der Hirsch selbst ist ausgesprochen gegenwärtig, denn wir können sehen, wie er gestorben ist: Die Haut weist zwei Löcher von einer Gewehrkugel auf, die den Körper des Tieres von der rechten Schulter bis zur linken Hinterflanke durchschlagen und dabei mit hoherWahrscheinlichkeit das Herz getroffen hat. Dieser Hirsch wurde von einem hervorragenden Jäger erlegt, einem Mann, der sich mit der Jagd auskannte. Auf der Karte ist nicht mehr viel zu sehen, aber wenn wir sie mit einer heutigen Landkarte vergleichen, erkennen wir, dass sie das riesige Stromgebiet zwischen Mississippi und Ohio zeigt, eine dreieckförmige Fläche von über 100.000 Quadratkilometern unterhalb des Lake Michigan, die heute die Bundesstaaten Illinois, Indiana und Missouri bildet.
Gegenüberliegende Seite: Transkript und Deutung der Einträge auf der Originalkarte. Sie bestimmt und benennt in erster Linie die Flüsse, zeigt aber auch die Straße zwischen den beiden Forts Kaskaskia und Vincennes sowie zwei gepunktete Grenzlinien; außerdem führt sie eine Reihe weiterer Indianersiedlungen auf, ohne sie zu benennen, und zeigt das von den Stämmen der Piankishwa, der Wea und der Kaskaskia bewohnte Gebiet.
Oben: Moderne topografische Karte des Gebiets, das auf der Hirschhautkarte abgebildet ist.
Auf dieses Gebiet hatten britische Siedlungsgesellschaften nach 1763 ein Auge geworfen, und unsere Karte dokumentiert eine der vielen Verkaufsverhandlungen zwischen den besitzergreifenden Siedlern und den angestammten Bewohnern der Region. Etwa in der Mitte der Karte steht der Vermerk «Piankishwa verkauft». Die Piankishwa (oder Pinkashaw) waren Ureinwohner, deren Stammesgebiet die heutigen Staaten Indiana und Ohio umfasste. Die Karte wurde vermutlich für
Weitere Kostenlose Bücher