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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Einheimisches an sich hat, sondern das Ergebnis von jahrhundertealtem Welthandel und einer komplizierten Imperialgeschichte ist. Hinter der modernen britischen Tasse Tee stehen die hohe Politik des viktorianischen Großbritannien, die Geschichten vom Empire des 19. Jahrhunderts, von Massenproduktion und Massenkonsum, von der Zähmung einer industriellen Arbeiterklasse, von der Umstellung der Landwirtschaft ganzer Kontinente, von Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, und von einer weltweiten Transportbranche.
    Mitte des 19. Jahrhunderts betrachtete man in Großbritannien einige Luxusgüter nicht mehr nur als erstrebenswert, sondern als essentiell. Am allgegenwärtigsten war Tee, ein wichtiger Lebensbestandteil für alle Schichten der britischen Bevölkerung. Das Objekt, das diesen Wandel beleuchtet, ist ein Teeservice, das aus drei Stück rotbraunen Steinguts besteht: einer eher kleinen, 14 Zentimeter großen Teekanne mit einem kurzen, geraden Ausguss, einer Zuckerdose und einem Milchkännchen. Hergestellt wurden sie – wie auf der Unterseite zu lesen ist – in der «Etruria»-Fabrik von Wedgwood in Stoke-on-Trent, Staffordshire, im Herzen der Potteries. Im 18. Jahrhundert hatte Josiah Wedgwood einige der teuerstenSteingutkeramiken – aus Jaspis und Basalt – in Großbritannien angefertigt, doch unser Teegeschirr, das in den 1840er Jahren produziert wurde, zeigt, dass die Firma damals auf einen deutlich breiteren Markt zielte. Wir haben es hier eindeutig mit Mittelklasse-Keramik zu tun, einfacher Töpferware, die sich damals auch viele bescheidene britische Haushalte leisten konnten. Doch die Besitzer dieses speziellen Services müssen ernsthafte soziale Ambitionen gehabt haben, denn alle drei Stücke sind mit einer Drapierung aus punziertem, spitzenförmigem Silber verziert. Wie die Historikerin Celina Fox erklärt, war die Teestunde zu einem sehr eleganten Ereignis geworden:
    «In den 1840er Jahren führte die Herzogin von Bedford das Ritual des Nachmittagstees ein, denn zu dieser Zeit war das Dinner so weit nach hinten gerückt, in die Zeit zwischen halb acht und acht Uhr abends, dass für den britischen Magen zwischen Lunch und Abendessen ein beträchtliches Loch klaffte. Eine Zeitlang lebte das Teetrinken wieder auf als eine Art Zwischenmahlzeit mit Sandwiches gegen vier Uhr nachmittags.»
    In den oberen Gesellschaftsschichten war der Tee schon seit der Zeit vor 1700 populär gewesen. Berühmte Unterstützung bekam er von der Gattin König Karls II., Katharina von Braganza, und von Königin Anne. Er kam aus China, war teuer, erfrischend bitter und wurde in winzigen Tassen ohne Milch oder Zucker getrunken. Aufbewahrt wurde er in verschließbaren Teedosen, gerade so, als handelte es sich um eine Droge. Für diejenigen, die ihn sich leisten konnten, war er das auch oft. In den 1750er Jahren bekannte Samuel Johnson, er sei ein glücklicher Süchtiger:
    «Ein hartgesottener und schamloser Teetrinker, der seine Mahlzeiten seit zwanzig Jahren nur durch Zuführung dieser faszinierenden Pflanze verdaut, dessen Wasserkessel kaum einmal kalt wird, der sich mit Tee den Abend vertreibt, der sich mit Tee um Mitternacht tröstet und der mit Tee den Morgen begrüßt.»
    Die Sehnsucht nach dem Getränk steigerte sich im 18. Jahrhundert, doch Steuern und Zölle hielten die Preise hoch, so dass sich ein lebhafter Schwarzhandel entwickelte, mit dem man die Verbrauchssteuer umging. In den 1770er Jahren war ein Großteil des Tees, der auf die britische Insel kam, Schmuggelware – Schätzungen zufolge gelangten drei Millionen Kilo Tee über dunkle Kanäle ins Landund nur zwei Millionen Kilo auf legalem Weg. Auf Druck der gesetzestreuen Teehändler reduzierte die Regierung 1785 die Abgaben auf Tee drastisch, was quasi über Nacht den Schmuggel zum Erliegen brachte. Der Preis für Tee brach geradezu ein, so dass er jetzt zu einem echten Volksgetränk werden konnte. Doch der günstige Preis war nur ein Grund für die wachsende britische Vorliebe für Tee. Irgendwann Anfang des 18. Jahrhunderts hatten die Menschen damit begonnen, Milch und Zucker hinzuzugeben, was die bittere Finesse in angenehme Süße verwandelte. Der Konsum explodierte förmlich. Anders als der Kaffee wurde der Tee positiv als respektables Getränk für beide Geschlechter vermarktet – wobei man besonders die Frauen als Kundinnen im Visier hatte. In London schossen Teehäuser und Teegärten förmlich aus dem Boden, und Teegeschirr aus

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