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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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doch vor allem die Frauen, die den Tee pflückten. In Teilen Indiens und Chinas profitierten einige örtliche Gemeinschaften durchaus davon, dass sie das Zeug anbauten und auch verkaufen konnten. Doch der eigentliche Mehrwert durch Handel und Verpackung entstand dann erst innerhalb des Empire und vor allem innerhalb Großbritanniens.»
    Mit dem Transport wurden wahre Vermögen verdient. Der Teehandel erforderte eine riesige Anzahl an schnellen Segelschiffen für die lange Reise aus dem Fernen Osten, und sie legten in britischen Häfen neben Schiffen an, die Zucker aus der Karibik geladen hatten. Damit der Zucker auf englische Teetischchen gelangte, hatte es bis vor kurzer Zeit eines mindestens genauso hohen Maßes an Gewalt bedurft wie beim Tee. Die ersten afrikanischen Sklaven auf dem amerikanischen Kontinent arbeiteten auf Zuckerplantagen, und damit begann der lange und fürchterliche Dreieckshandel, bei dem europäische Waren nach Afrika, afrikanische Sklaven nach Amerika (wie wir in Kapitel 86 gesehen haben) und von Sklaven produzierter Zucker nach Europa befördert wurden. Nach einer langen Kampagne, an der sich auch viele Menschen aus den Temperenzler-Bewegungen beteiligten, wurde die Sklaverei 1833 auf den British West Indies abgeschafft. Doch in den 1840er Jahren gab es noch immer jede Menge «Sklavenzucker» – einer der Hauptproduzenten war Kuba –, und der war natürlich deutlich billiger als der Zucker, der auf «freien» Plantagen produziert wurde. Die Ethik des Zuckers war eine komplizierte und zutiefst politische Sache.
    Der friedlichste Teil unseres Teegeschirrs ist, wenig überraschend, das Milchkännchen, wenngleich es ebenfalls Teil einer ungeheuren gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzung ist. Bis in die 1830er Jahre war es so: Wollten Stadtbewohner Milch haben, so mussten die Kühe in der Stadt leben – ein Aspekt desLebens im 19. Jahrhundert, dessen wir uns heute kaum noch bewusst sind. All das änderte sich mit den Vorortzügen. Dank ihnen konnten die Kühe nun die Stadt verlassen, wie ein Artikel im
Journal of the Royal Agricultural Society of England
aus dem Jahr 1853 deutlich macht:
    «Seit der Fertigstellung der South-Western Railway hat sich in Surrey ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Es gibt jetzt mehrere Molkereibetriebe mit 20 bis 30 Kühen, und die Milch wird an verschiedene Bahnhöfe der Eisenbahnlinie gebracht, von wo aus sie nach Waterloo Station transportiert wird, um den Londoner Markt zu versorgen.»
    Unser Teeservice ist also in der Tat so etwas wie eine dreiteilige Sozialgeschichte Großbritanniens im 19. Jahrhundert. Es ist zudem eine Art Brennglas, durch das Historiker wie Linda Colley einen Großteil der Weltgeschichte erkennen können:
    «Es unterstreicht, wie sehr sich das Empire, ob bewusst oder nicht, auf jeden in diesem Land auswirkt. Wenn man im 19. Jahrhundert an einem Mahagonitisch sitzt und Tee mit Zucker trinkt, dann ist man mit so gut wie jedem Kontinent auf dieser Erde verbunden. Man ist mit der Royal Navy verbunden, die die Seewege zwischen diesen Erdteilen sichert, man ist mit dieser riesigen, tentakelgleichen Kapitalmaschinerie verbunden, mit deren Hilfe die Briten so viele Weltregionen kontrollieren und nach Waren durchforsten, darunter auch solchen, die der gewöhnliche Bürger zu Hause sich leisten kann.»
    Das nächste Objekt stammt von einem anderen teetrinkenden Inselvolk – den Japanern. Doch anders als Großbritannien hatte Japan alles in seiner Macht Stehende getan, um die übrige Welt auf Distanz zu halten, und das Land fügte sich erst in die Weltwirtschaft ein, als es von den Vereinigten Staaten dazu gezwungen wurde – und zwar buchstäblich mit vorgehaltener Waffe.

93
Hokusais
Große Welle
    Holzschnitt, aus Japan
1830–1883 n. Chr.
    Im frühen 19. Jahrhundert war Japan praktisch seit 200 Jahren vom Rest der Welt abgeschnitten. Es hatte sich einfach aus der Völkergemeinschaft ausgeklinkt.
    «Kings are burning somewhere,
    Wheels are turning somewhere,
    Trains are being run,
    Wars are being won,
    Things are being done
    Somewhere out there, not here.
    Here we paint screens.
    Yes … the arrangement of the screens.»
    So beschreibt Stephen Sondheims Musicalszene dieses abgeschiedene und in stiller Zufriedenheit eigenständige Land im Jahr 1853, kurz bevor die amerikanischen Kanonenboote es zwangen, seine Häfen für die Welt zu öffnen. Die Szene karikiert auf geistreiche Weise die verträumten und schöngeistigen Japaner, die

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