Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
24 Stunden, und da sich die Erde dreht, «bewegt» sich die Sonne am Himmel ganz offensichtlich jede Stunde um ein Vierundzwanzigstel einer ganzen Erdumdrehung – also um 15 Grad. Ist man drei Stunden hinter der Greenwich-Zeit zurück, befindet man sich 45 Grad westlich – also mitten auf dem Atlantik. Ist man drei Stunden voraus, befindet man sich 45 Grad östlich – auf dem gleichen Breitengrad wie Greenwich wäre man dann irgendwo südwestlich von Moskau.
Harrisons Chronometer waren bahnbrechende Hochpräzisionsinstrumente, die in kleiner Zahl gefertigt wurden und die sich einzig und allein die Admiralität leisten konnte. Erst um 1800 gelang es zwei Londoner Uhrmachern, die Mechanik der Chronometer so weit zu vereinfachen, dass im Grunde alle Schiffe – und mit Sicherheit die größeren Schiffe der Royal Navy – sie als Routineausrüstung verwenden konnten. Unser Objekt ist eines dieser kostengünstigeren Exemplare und wurde 1800 von Thomas Earnshaw hergestellt. Es besteht aus Messing, hat in etwa die Größe einer großen Taschenuhr und weist ein normales Ziffernblatt mit römischenZiffern sowie in der unteren Hälfte ein kleineres für den Sekundenzeiger auf. Die Uhr ist an einem schwenkbaren Messingring aufgehängt, der in das Innere einer Holzschachtel eingepasst ist – das ist der entscheidende Punkt, damit das Chronometer selbst auf einem unstet schlingernden Schiff in Position bleibt. Nigel Thrift, Professor für Geographie, erläutert die Hintergründe:
«Das Chronometer ist der Höhepunkt in einer langen Geschichte der Uhrmacherei, und man darf dabei nicht vergessen, dass es schon seit dem Jahr 1283 in England Uhren gibt. Alle sprechen von Harrison und der Tatsache, dass er ein Genie war. Das war er ohne jeden Zweifel, doch man muss auch die Innovationsbemühungen von Hunderten und Tausenden von Uhrmachern und Feinmechanikern sehen, die letztlich zu diesem Objekt geführt haben. Nach und nach flossen all diese Dinge in diese außerordentlich effiziente Maschine ein: Chronometer dieser Art waren sagenhaft genau; eines wurde beispielsweise von Captain Cook bei seiner zweiten Forschungsreise in den Pazifikraum verwendet, und als Cook schließlich 1775 in Plymouth an Land ging, nachdem er den gesamten Erdball umrundet hatte, ergab sich bei der Berechnung der geographischen Länge eine Abweichung von nicht einmal acht Meilen.»
Dieses Chronometer war auf zahlreichen Schiffen unterwegs – stets ausgegeben und, wie auch andere, gestellt in Greenwich; berühmt ist unser Exemplar aber vor allem deshalb, weil es auf der HMS
Beagle
zum Einsatz kam, dem Schiff, das Charles Darwin auf seiner großen Reise nach Südamerika, auf die Galapagos-Inseln und um die Welt beförderte; und diese Expedition führte schließlich zur Evolutionstheorie und zu Darwins berühmter Abhandlung über die Entstehung der Arten (
On the Origin of Species
).
Die Beagle hatte den Auftrag, die Küste Südamerikas zu vermessen, eine Tätigkeit, die sehr genaue Bestimmungen von geographischer Länge und Breite erforderte. Das Chronometer ermöglichte erstmals eine absolut zuverlässige Kartographierung der Ozeane, mit all den Implikationen für die Einrichtung sicherer und schneller Schifffahrtsrouten. Das bedeutete einen weiteren wichtigen Schritt im Aufklärungsprojekt der Vermessung – und damit der Kontrolle – der Welt. Da man mit Abweichungen und Fehlern rechnete, hatte die Beagle insgesamt 22 Chronometer an Bord: 18, darunter auch der unsrige, wurden von der Admiralität zur Verfügung gestellt, vier vom Kapitän des Schiffes Robert FitzRoy, der glaubte, 18 Stück seien für eine so langwierige und wichtige Mission nichtausreichend. Nach fünf Jahren auf See zeigten die elf Chronometer, die am Ende der Reise noch funktionierten, eine Abweichung von gerade einmal 23 Sekunden von der Greenwich-Zeit. Zum ersten Mal hatte man einen detaillierten chronometrischen Gürtel um die Erde gelegt.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde festgelegt, dass alle britischen Schiffe Greenwich als Referenzpunkt für Zeit und damit geographische Länge verwenden sollten, und sämtliche Weltmeere waren von britischen Schiffen auf dieser Grundlage vermessen worden. In der Folge wurden der Greenwich-Meridian und die Greenwich Mean Time (GMT) zunehmend auch von der internationalen Gemeinschaft verwendet, bis diese Praxis dann 1884 in der Konvention von Washington schließlich formal ratifiziert wurde. Allerdings gab es eine bemerkenswerte Ausnahme: Die
Weitere Kostenlose Bücher