Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
gefunden hat, sollten in einer anderen Welt von Nutzen sein, und das sind sie auch, allerdings auf eine Weise, die sich die Menschen damals nicht vorstellen konnten. Sie sind nützlich für uns, nicht für den Toten. Sie liefern uns tiefreichende Einblicke in ferne Gesellschaften, denn die Art des Todes wirft auch ein Licht auf die Art und Weise, wie diese Menschen lebten. Sie geben uns eine gewisse Vorstellung nicht nur davon, was Menschen taten, sondern auch, was sie dachten und glaubten.
Das Meiste von dem, was wir über das alte Ägypten wissen, das Ägypten vor den Pharaonen und den Hieroglyphen, basiert auf Grabbeigaben wie diesen kleinen Rindern. Sie stammen aus einer Zeit, als Ägypten nur von kleinen bäuerlichen Gemeinschaften besiedelt war, die sich im Niltal niedergelassen hatten. Im Vergleich zu den spektakulären Goldartefakten und Grabornamenten des späteren Ägypten wirken diese Rinder aus Ton äußerst bescheiden. Die Begräbnisse damals waren schlichter; die Praktiken der Einbalsamierung und Mumifizierung kamen erst tausend Jahre später auf.
Der Besitzer unserer vier Tonrinder dürfte in eine ovale Vertiefung gelegt worden sein, in gekrümmter Haltung und auf eine Binsenmatte gebettet, das Gesicht der untergehenden Sonne zugewandt. Um ihn herum waren seine Grabgötter platziert – nützliche Dinge für seine Reise ins Jenseits. Rindermodelle wie dieses finden sich häufig, weshalb wir ziemlich sicher sagen können, dass Rinder imägyptischen Alltagsleben eine bedeutende Rolle gespielt haben müssen – sie waren jedenfalls so wichtig, dass man sie nicht zurücklassen konnte, wenn ihr Besitzer sich auf seinen Weg durch den Tod ins Jenseits begab. Wie kam es, dass diese eher unspektakulären Tiere für die Menschen so wichtig wurden?
Die Geschichte beginnt vor mehr als 9000 Jahren, in den ungeheuren Weiten der Sahara. Sie war damals nicht wie heute trockene Wüste, sondern üppige, offene Savanne mit Gazellen, Giraffen, Zebras, Elefanten und wilden Rindern, die hier durchzogen – ein Jagdparadies für die Menschen. Doch vor gut 8000 Jahren blieben die Niederschläge, die diese Landschaft zum Blühen gebracht hatten, immer öfter aus. Ohne Regen begann sich das Land in die Wüste zu verwandeln, die wir heute kennen und in der Menschen und Tiere nach den immer weniger werdenden Wasserquellen suchten. Diese dramatische Umweltveränderung bedeutete, dass die Menschen eine Alternative zum Jagen finden mussten. Von all den verschiedenen Tieren, die diese Menschen gejagt hatten, ließ sich nur eine Spezies zähmen: die wilden Rinder.
Irgendwie gelang es ihnen, diese Wildtiere zu zähmen. Sie mussten sie nicht mehr, eins nach dem anderen, jagen, um zu essen zu haben; stattdessen lernten sie, wie man Herden zusammenhält und beaufsichtigt, und mit diesen Rinderherden zogen sie dann umher und konnten von ihnen leben. Rinder wurden beinahe im Wortsinne zum Lebenssaft dieser neuen Gemeinschaften. Der Lebensrhythmus war nun bestimmt von der Suche nach frischem Wasser und Weideland für das Vieh, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier wurde enger.
Welche Rolle spielten diese frühägyptischen Rinder in einer solchen Gesellschaft? Zu welchem Zweck hielt man das Vieh? Professor Fekri Hassan hat viele dieser frühen ägyptischen Gräber samt den dazugehörigen Dörfern ausgegraben und untersucht. Er und seine Kollegen fanden Überreste von Einzäunungen sowie Belege dafür, dass man die Rinder verzehrt hat. Sie fanden die Knochen dieser Tiere. Und er glaubt, dass diese vier Rinder vermutlich rund 1000 Jahre, nachdem man in Ägypten mit der Viehhaltung begonnen hatte, modelliert wurden.
Die Untersuchung von Rinderknochen zeigt, in welchem Alter die Tiere getötet wurden. Überraschenderweise waren viele von ihnen alt, zu alt, wenn man sie nur zu Ernährungszwecken hielt. Wenn die alten Ägypter also nicht gerade Freunde zäher Steaks waren, haben wir es nicht mit Fleischvieh in unserem Sinnezu tun. Man muss die Tiere aus anderen Gründen am Leben gehalten haben – vielleicht damit sie Wasser oder auf Reisen die Verpflegung schleppten. Wahrscheinlicher aber ist, dass man ihnen Blut abgezapft hat, das wichtiges Eiweiß liefert, wenn man es trinkt oder Gemüsegerichten beimischt. Dieses Phänomen finden wir in vielen Teilen der Welt, und die Nomadenvölker in Kenia pflegen diese Praxis bis heute.
Unsere vier Rinder stellen also eine wandelnde Blutbank dar. Was auf den ersten Blick näher liegt, nämlich dass
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