Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
erwartete von seinen Jüngern, dass sie hart für ihre Mahlzeit arbeiteten.
Bis heute dominiert der Mais die mexikanische Küche und ist noch immer überraschend stark religiös und metaphorisch aufgeladen, wie der Gastronom Santiago Calva nur zu gut weiß:
«Die Auswirkungen des Maises auf das Alltagsleben sind nach wie vor enorm und vielschichtig. Irgendwann gibt es immer Mais, und er überspringt alle gesellschaftlichen oder ethnischen Grenzen. Jeder isst und trinkt ihn, die ganz Reichen ebenso wie die Bettelarmen, die Ureinwohner ebenso wie diejenigen, die erst vor kurzen ins Land kamen, und das eint uns mehr als alles andere.
Die Maiskultur steht allerdings vor zwei neuartigen Problemen. Zum einen wird Mais zunehmend als Biokraftstoff verwendet, was zu einem Preisanstieg geführt hat. Das betrifft die mexikanische Bevölkerung ganz unmittelbar. Das andere Problem ist gentechnisch veränderter Mais. Es ist beinahe so etwas wie ein persönlicher und religiöser Affront, dass jemand hier Gott spielt. Wenn man Getreide für andere Zwecke verwendet, als es zu essen oder zu verehren, und beispielsweise in ein Auto füllt, ist das eine hochgradig umstrittene Sache.»
Für manche Mexikaner ist es undenkbar, dass der Mais, das göttliche Getreide, in einem Benzintank enden soll. Und weit über Mexiko hinaus sorgt die Idee der gentechnischen Veränderung von Pflanzen für große Unruhe, sowohl unter re ligiösen als auch unter wissenschaftlichen Aspekten. Die Gewohnheit, in den Pflanzen, die uns ernähren, etwas Göttliches zu sehen – diese Vorstellung, die sich überall auf der Welt vor gut 10.000 Jahren entwickelt hat, hält sich bis heute hartnäckig. Ganz gleich, welche Vorzüge die gentechnische Veränderung von Pflanzen haben mag (etwa höhere Erträge oder eine größere Resistenz gegenüber Schädlingen) – viele haben dabei das ungute Gefühl, dass damit die natürliche Ordnung gestört wird, dass die Menschen sich auf Terrain wagen, das eigentlich den Göttern vorbehalten ist.
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Topf der Jōmon-Kultur
Tongefäß, gefunden in Japan
5000 v. Chr.
Ich weiß, es ist wissenschaftlich ein wenig unseriös, stellt mitunter aber trotzdem eine unwiderstehliche Verlockung dar, darüber zu spekulieren, wie und wo es erstmals zu den großen, sprunghaften Fortschritten bei der Anfertigung von Objekten durch den Menschen gekommen sein könnte. Was folgt, ist also eine sehr unwissenschaftliche, höchst unseriöse Vermutung über einen der größten Fortschritte überhaupt. Stellen wir uns vor: Vor Tausenden von Jahren landet ein Klumpen feuchten Lehms irgendwie im Feuer, trocknet, wird hart und bildet eine Hohlform – eine Form aus hartem, dauerhaftem Material, die Dinge fassen könnte. Als der feuchte Lehm hart geworden ist, hat sich eine ganze Welt kulinarischer Möglichkeiten, alkoholischer Genüsse und keramischen Designs aufgetan. Die Menschheit hat ihr erstes Gefäß angefertigt.
In den letzten Kapiteln ging es darum, wie die Menschen unseres Wissens nach Tiere zu domestizieren und Pflanzen anzubauen begannen. In der Folge verzehrten sie ganz neue Dinge und lebten anders – kurz: sie wurden sesshaft. Lange Zeit hat man vermutet, dass die Töpferei mit diesem Wandel hin zu einem stärker ortsgebundenen Leben einherging. Heute aber wissen wir, dass die ersten Keramiken in Wirklichkeit vor rund 16.500 Jahren entstanden sind, zu einer Zeit also, die Fachleute als Altsteinzeit bezeichnen und zu der die Menschen noch umherzogen und Großwild jagten. Niemand hatte ernsthaft erwartet, so früh schon Keramik zu finden.
Gefäße findet man überall auf der Welt und in allen Museen dieser Welt. In unserer Aufklärungsgalerie stehen jede Menge – griechische Vasen, auf denen Helden miteinander ringen, Ming-Schalen aus China, bauchige Kalebassen ausAfrika und Wedgwood-Schüsseln. Sie sind wichtiger Bestandteil jeder Museumssammlung, denn die Menschheitsgeschichte findet sich in Gefäßen eher erzählt und niedergelegt als in irgendetwas anderem. Oder wie Robert Browning es formuliert hat: «Das Rad der Zeit dreht sich zurück oder bleibt stehen: Keramik und Ton überdauern.»
Die weltweit ersten Gefäße wurden in Japan gefertigt. Unseres hier, das vor gut 7000 Jahren dort entstanden ist und in einer Tradition steht, welche schon damals 10.000 Jahre zurückreichte, wirkt auf den ersten Blick ziemlich langweilig. Es handelt sich um ein schlichtes rundes Gefäß, das in Form und Größe an ein Eimerchen erinnert, mit
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