Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
offenbar
friedliebend. Im Großteil der Welt aber lebten die Menschen auch
weiterhin überwiegend in kleinen agrarischen Gemeinschaften,
die jedoch oftmals zu deutlich größeren
Handelsnetzen gehörten, welche riesige Gebiete
umfassten.
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Sandalenplakette von König Den
Täfelchen aus Flusspferd-Elfenbein, gefunden bei Abydos (nahe Luxor), Ägypten
Um 2985 v. Chr.
Es gibt eine faszinierende, betörende glamouröse Mythologie der modernen Großstadt: Sie handelt von ihrer Energie und ihrem Überfluss, ihrer Nähe zu Kultur und Macht, ihren Straßen, die genauso gut mit Gold gepflastert sein könnten. Wir haben diesen Mythos gesehen und geliebt, auf der Bühne und auf der Leinwand. Doch wir alle wissen auch, dass Großstädte in Wirklichkeit ein raues Pflaster sind. Sie sind laut, voll potenzieller Gewalt und erschreckend anonym. Mitunter wird uns die schiere Masse an Menschen schon zu viel – was im Grunde auch nicht weiter überraschend ist. Wenn man bedenkt, wie viele Rufnummern wir in unserem Handy speichern oder wie viele Kontakte wir auf unserer Facebook-Seite haben, dann kommen selbst Großstadtbewohner selten auf mehr als ein paar hundert. Sozialanthropologen verweisen genüsslich darauf, dass das in etwa der Größe der sozialen Gruppe entspricht, mit der wir es in einem großen Steinzeitdorf zu tun gehabt hätten. Ihrer Ansicht nach versuchen wir alle das moderne Großstadtleben zu bewältigen, obwohl wir nur mit dem sozialen Gehirn der Steinzeit ausgestattet sind. Wir haben alle mit der Anonymität zu kämpfen.
Wie also regiert und kontrolliert man eine Stadt oder einen Staat, wo sich die meisten Menschen nicht kennen und wo man nur mit einem geringen Teil der Bewohner persönlich interagieren kann? Vor diesem Problem stehen Politiker seit über 5000 Jahren, seit die Gruppen, in denen wir leben, die Größe eines Stammes oder eines Dorfes überschreiten. Die ersten dicht besiedelten Städte und Staaten entstanden in den fruchtbaren Ebenen der Flüsse: am Euphrat, am Tigris, am Indus. Das Objekt dieses Kapitels hat mit dem berühmtesten allerFlüsse zu tun, mit dem Nil. Es stammt aus dem Ägypten der Pharaonen, wo die Frage, wie man eine große Bevölkerung regiert und kontrolliert, recht schlicht beantwortet wurde: mit Gewalt.
Wer sich für das Ägypten der Pharaonen interessiert, dem bietet das Britische Museum eine spektakuläre und vielfältige Auswahl – monumentale Skulpturen, bemalte Mumiensarkophage und vieles mehr –, doch ich habe ein Objekt ausgesucht, das im Wortsinne aus dem Schlamm des Nils stammt. Es wurde aus dem Stoßzahn eines Flusspferds gefertigt und gehörte einem der ersten Pharaonen Ägyptens – König Den. Paradoxerweise ist dieses Objekt, mit dessen Hilfe wir die Machtfülle der damaligen Herrscher erkunden wollen, ein recht zartes Gebilde.
Es ist etwa 25 Quadratzentimeter groß, sehr dünn, und es sieht ein wenig aus wie eine moderne Scheckkarte und fühlt sich auch so an. Tatsächlich handelt es sich um eine Plakette, die einmal an einem Paar Schuhe befestigt war. Wir wissen das deshalb, weil auf der einen Seite diese Schuhe abgebildet sind. Diese kleine Elfenbeinplatte ist das Namensschildchen eines ägyptischen Pharaos, das ihn auf seiner Reise ins Jenseits begleiten sollte, damit die, denen er begegnete, wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Dank dieses Objekts sind wir diesen ersten ägyptischen Königen mit einem Schlag ganz nahe – Herrschern einer völlig neuen Kultur um 3000 v. Chr., der wir einige der bedeutendsten Monumentalkunstwerke und architektonischen Leistungen auf dieser Welt verdanken.
Suche ich nach einer modernen Entsprechung für dieses Täfelchen, so fällt mir als erstes die ID-Karte ein, welche die Beschäftigten eines Unternehmens um den Hals hängen haben, damit sie durch die Sicherheitsschleuse kommen – auch wenn nicht sofort klar ist, wer diese ägyptischen Plaketten lesen sollte, ob sie für die Götter im Jenseits gedacht waren oder vielleicht für geisterhafte Bedienstete, die womöglich nicht Bescheid wussten. Was die Abbildungen angeht, so hat man sie in das Elfenbein gekratzt und anschließend ein schwarzes Harz in die Einritzungen gerieben, wodurch ein wunderbarer Kontrast zwischen dem Schwarz der Zeichnungen und dem cremefarbenen Elfenbein entstanden ist.
Vor den ersten Pharaonen war Ägypten ein geteiltes Land, gespalten in den von Ost nach West verlaufenden Küstenstreifen des Nildeltas und in die sich von Nord nach Süd
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