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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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diese entnehmen, und sosind dann diese Spiele den Lernenden eine nützliche Vorübung für die Aufgabe, ein Heer in Reihen und Züge zu ordnen und ins Feld zu führen und wiederum das Hauswesen zu verwalten, und machen überhaupt die Menschen sich selbst nützlicher und aufgeweckter.»
    Zwar sind sich alle darin einig, dass eine derartige Ausbildung eine formidable Staatsmaschinerie hervorbrachte, doch umstritten bleibt, welche Mathematik die Griechen tatsächlich von den Ägyptern übernahmen. Das Problem ist, dass sich nur ganz wenige mathematische Dokumente aus Ägypten erhalten haben – unzählige andere dürften verlorengegangen sein. Wir müssen also davon ausgehen, dass es eine florierende höhere Mathematik gab, aber wir haben keinerlei Belege dafür. Professor Clive Rix von der University of Leicester betont deshalb die Bedeutung des Rhind-Papyrus:
    «Seit jeher ist man der Überzeugung, dass die Griechen ihre Geometrie von den Ägyptern lernten. Griechische Autoren wie Herodot, Platon und Aristoteles verweisen allesamt auf die herausragenden geometrischen Fähigkeiten der Ägypter.
    Hätten wir freilich den Rhind-Papyrus nicht, wüssten wir herzlich wenig darüber, wie die ägyptische Mathematik aussah. Die Algebra ist durch und durch das, was wir als lineare Algebra bezeichnen, also aus linearen Gleichungen bestehend. Es gibt ein paar arithmetische Progressionen, die etwas komplexer sind. Auch die Geometrie ist sehr grundsätzlicher, einfacher Art. Ahmose [der ursprüngliche Kopist des Papyrus] erklärt, wie man die Kreisfläche und die Dreiecksfläche berechnet. Doch in dem Papyrus findet sich nichts, was einen Realschulabsolventen in Unruhe versetzen würde, und das Meiste ist noch weniger weit entwickelt.»
    Aber das ist natürlich auch gar nicht anders zu erwarten, denn derjenige, der den Rhind-Papyrus benutzt, will ja nicht Mathematiker werden. Er will nur wissen, wie man knifflige praktische Probleme löst – etwa wie man Rationen unter Arbeitern aufteilt. Hat man beispielsweise für das gesamte Jahr 45 Liter tierisches Fett zur Verfügung, wie viel darf man dann täglich verbrauchen? 45 durch 365 zu teilen war damals so knifflig wie heute, aber es war von essenzieller Bedeutung, wenn man eine Arbeitskraft anständig versorgen und bei Kräften halten wollte. Eleanor Robson, Expertin für die Mathematik der Antike an der Cambridge University, erklärt dazu:
    «Alle, die mathematische Formeln aufschreiben konnten, taten das, weil sie lernten, wie man ein lese-, schreib- und rechenkundiger Verwalter wurde, ein Bürokrat, ein Schreiber – und sie erlernten sowohl die technischen Fertigkeiten als auch, wie man mit Zahlen, Gewichten und Maßeinheiten umging, um den Palästen und Tempeln bei der Bewältigung ihrer umfangreichen ökonomischen Aufgaben zu helfen. Es muss damals jede Menge Diskussionen über mathematische Fragen gegeben haben sowie darüber, wie man riesige Bauprojekte wie die Pyramiden oder die Tempel und die dafür benötigten Unmengen an Arbeitern (samt deren Verpflegung) organisierte.»
    Darüber, wie diese komplexeren mathematischen Diskussionen abliefen oder weitergegeben wurden, können wir allenfalls spekulieren. Die überlieferten Belege sind furchtbar bruchstückhaft, denn Papyrus ist einfach höchst fragil, er zerbröselt, verfault in feuchter Umgebung und gerät leicht in Brand. Wir wissen nicht einmal, woher der Rhind-Papyrus stammt, vermuten aber, dass er in einem Grab lag. Es gibt einige Beispiele dafür, dass private Bibliotheken zusammen mit ihren Besitzern bestattet wurden – vermutlich, damit sie im Jenseits ihre Bildung und ihre administrativen Fähigkeiten belegen konnten.
    Dadurch, dass so viele Beweisstücke verlorengingen, können wir uns kaum eine Vorstellung davon machen, wie Ägypten im Vergleich mit seinen Nachbarn dastand und wie repräsentativ die ägyptische Mathematik für die Zeit um 1550 v. Chr. ist. Dazu noch einmal Eleanor Robson:
    «Der einzige Beleg aus der gleichen Zeit, den wir zu Vergleichszwecken heranziehen können, stammt aus Babylonien im heutigen Südirak, denn das waren damals die beiden einzigen Kulturen, die sich der Schrift bedienten. Ich bin mir sicher, dass viele andere Kulturen rechneten und mit Zahlen umzugehen wussten, aber sie alle taten das – soweit wir wissen –, ohne es schriftlich festzuhalten. Über die Babylonier wissen wir deutlich besser Bescheid, denn sie schrieben auf Tontafeln, und anders als der Papyrus hält sich

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