Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
Vom Netzwerk:
der sogenannten Bronzezeit, als enorme Fortschritte bei der Metallherstellung die Art und Weise, wie Menschen die Welt nach ihren Vorstellungen prägen konnten, veränderten. Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn, ist deutlich härter und schneidet viel besser als Kupfer oder Gold; kaum hatte man sie entdeckt, wurde sie über tausend Jahre lang bevorzugt verwendet, um Werkzeuge und Waffen herzustellen. Mit Bronze gelingen aber auch sehr schöne Skulpturen, so dass sie häufig für wertvolle Objekte, vermutlich Devotionalien, benutzt wurde.
    Die Stierskulptur im Britischen Museum wurde mit Hilfe des sogenannten Wachsausschmelzverfahrens gegossen. Dabei modelliert der Künstler sein Objekt zunächst in Wachs, dann ummantelt er dieses Modell mit Ton. Das Ganze wird dann ins Feuer oder in einen Ofen gegeben, was den Ton härtet und das Wachs schmelzen lässt. Das geschmolzene Wachs fließt ab und wird ersetzt durch eine Bronzelegierung, die in das Modell gegossen wird und genau die Form annimmt, die das Wachs hatte. Sobald sie abgekühlt ist, wird die Gussform zerschlagen und der Bronzeguss entnommen, aus dem dann nach weiteren Verfeinerungsarbeiten – Abschleifen, Gravieren oder Feilen – die endgültige Skulptur entsteht. Zwar ist unser Stierspringer ziemlich korrodiert – seine Farbe ist inzwischen grünlich-braun –, doch damals muss das ein tolles Objekt gewesen sein. Natürlich glänzte es nie so wie eines aus Gold, aber es faszinierte durch seinen eindringlichen, verführerischen Schimmer.
    Die Bronze, die Skulpturen wie diese schimmern lässt, bringt uns vom Mythos zur Geschichte. Auf den ersten Blick überrascht es nämlich, dass sie überhaupt aus Bronze gefertigt wurde, denn auf Kreta finden sich weder Kupfer noch Zinn, die man beide für Bronze braucht. Beide stammen denn auch aus ganz anderen Gegenden, wobei das Kupfer aus Zypern – der Name bedeutet vermutlich «Kupferinsel» – oder dem östlichen Mittelmeerraum kam. Das Zinn musste einen deutlich längeren Weg zurücklegen, es gelangte auf Handelsrouten ausdem Osten der Türkei, vielleicht sogar aus Afghanistan auf die Insel. Und es wurde oft knapp, weil die Handelskarawanen häufig von Räuberbanden überfallen wurden.
    An der Skulptur lässt sich zumindest ansatzweise dieser Kampf um den Zinnnachschub ablesen. Denn die Legierung enthielt eindeutig zu wenig Zinn, weshalb die Oberfläche ziemlich pockennarbig geraten und die Struktur recht schwach ausgefallen ist, wie die abgebrochenen Hinterläufe des Stiers belegen.
    Doch auch wenn das Mischungsverhältnis in der Legierung nicht ideal war, so beweist doch allein schon das Vorhandensein von Zinn und Kupfer – die beide von außerhalb kamen –, dass die Minoer unterwegs waren und Seehandel betrieben. Kreta war in der Tat ein wichtiger Akteur in einem riesigen Handels- und Diplomatienetz, das den gesamten östlichen Mittelmeerraum umspannte – und bei dem es vor allem um den Austausch von Metallen ging und das durch den Seehandel zusammengehalten wurde. Die Meeresarchäologin Lucy Blue von der Universität Southampton erklärt dazu:
    «Die kleine Bronzestatuette aus dem minoischen Kreta ist ein ausgezeichneter Indikator für das Schlüsselprodukt Bronze, hinter dem man im gesamten östlichen Mittelmeerraum her war. Leider verfügen wir nur über eine begrenzte Zahl von Schiffswracks, um diese Handelsaktivitäten näher spezifizieren zu können, doch eines der Wracks, nämlich das der
Uluburun
, das vor der türkischen Küste gefunden wurde, ist für uns von besonderem Interesse. Das Schiff hatte 15 Tonnen Fracht an Bord, davon neun Tonnen Kupfer in Form von Barren. Es transportierte zudem jede Menge andere Güter – Bernstein aus der Ostseeregion, Granatäpfel, Pistazien und viele verarbeitete Waren, unter anderem Statuetten aus Bronze und Gold, Perlen aus unterschiedlichen Materialien sowie eine Vielzahl von Werkzeugen und Waffen.»
    Was die reiche minoische Kultur angeht, die an diesem Handel beteiligt war, so sind hier viele Fragen noch immer nicht beantwortet. Die Bezeichnung «Palast», die Evans für die von ihm ausgegrabenen großen Gebäude benutzte, lässt ein Königtum vermuten, doch in Wirklichkeit scheint es sich bei diesen Bauwerken eher um religiöse, politische und wirtschaftliche Zentren gehandelt zu haben. Architektonisch waren sie ausgesprochen komplex und Ort vielfältiger Aktivitäten; unter anderem dienten sie der Verwaltung von Handel und Produktion, dasheißt, man

Weitere Kostenlose Bücher