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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Erbsenzählerei – geschaffen vor allem für Bürokraten, um Buch zu führen. Sie war in erster Linie für die praktischen Aufgaben des Staates genutzt worden. Geschichten andererseits wurden üblicherweisemündlich erzählt oder vorgesungen, und man lernte sie auswendig. Allmählich jedoch, vor 4000 Jahren, begann man damit, Geschichten wie die von Gilgamesch aufzuschreiben. Nun ließen sich Einblicke in die Hoffnungen und Ängste des Helden gestalten, verfeinern und festlegen – ein Autor konnte sicher sein, dass seine spezifische Sicht der Erzählung und sein persönliches Verständnis der Geschichte direkt vermittelt und nicht ständig von anderen Geschichtenerzählern verändert wurden. Mit der Schrift verschiebt sich die Autorschaft von der Gemeinschaft zum Einzelnen. Nicht weniger wichtig war: Ein schriftlicherText lässt sich übersetzen, und eine bestimmte Form einer Geschichte konnte jetzt in viele Sprachen Eingang finden. Schriftlich fixierte Literatur wie diese wurde Weltliteratur. Noch einmal David Damrosch:
    Die feine, winzige Keilschrift der Sintflut-Tafel wurde in feuchten Lehm gedrückt.
    «In literaturwissenschaftlichen Seminaren wird das Gilgamesch heute üblicherweise als ganz frühes Werk behandelt, und es zeugt von einer Art frühen Globalisierung. Es ist das erste Werk der Weltliteratur, das in der antiken Welt weit verbreitet ist. Betrachten wir das Gilgamesch heute, so stellen wir fest: Wenn wir nur weit genug zurückgehen, gibt es keinen Kampf der Kulturen zwischen dem Nahen Osten und dem Westen. Im Gilgamesch finden wir die Ursprünge einer gemeinsamen Kultur – die sich dann fortsetzt bei Homer, in den Geschichten von Tausendundeiner Nacht und in der Bibel –, die so etwas wie einen roten Faden in unserer globalen Kultur darstellt.»
    Mit dem Gilgamesch-Epos, für das George Smiths Sintflut-Tafel steht, verwandelte sich die Schrift von einem Mittel der Faktenaufzeichnung zu einer Möglichkeit, Ideen nachzuspüren. Damit veränderte sie sich von Grund auf. Und sie veränderte «unser» Wesen: Denn Literatur wie die des Gilgamesch-Epos ermöglicht es uns nicht nur, unsere eigenen Gedanken zu erkunden, sondern auch die Gedankenwelten anderer zu betreten. Das gilt natürlich auch für das Britische Museum und für die Objekte, anhand derer ich so etwas wie einen Leitfaden durch die Menschheitsgeschichte liefern möchte: Sie bieten uns die Chance auf andere Existenzen.

17
Rhind-Papyrus zur Mathematik
    Papyrus, gefunden in Theben (nahe Luxor), Ägypten
Um 1550 v. Chr.
    Es gibt sieben Häuser, in jedem Haus leben sieben Katzen. Jede Katze fängt sieben Mäuse, von denen wiederum jede sieben Kornähren gefressen hat. Jede Ähre produziert, wenn ausgesät, sieben Samen. Von wie vielen Dingen ist hier insgesamt die Rede?
    Das ist nur eine von mehreren Dutzend ähnlichen Aufgaben, die alle gleichermaßen kompliziert und alle sorgfältig ausformuliert sind – mitsamt den Antworten und nach bester Schulbuchmanier mit Lösungsskizzen –, und sie alle finden sich auf dem Rhind-Papyrus. Dieses Objekt ist der berühmteste mathematische Papyrus, der aus dem alten Ägypten erhalten ist; er bildet die wichtigste Quelle dessen, was wir über das Zahlenverständnis der alten Ägypter wissen.
    Der Rhind-Papyrus vermittelt uns kein Bild der Mathematik als abstrakter Disziplin, mit deren Hilfe sich die Welt begreifen und betrachten lässt. Er verschafft uns vielmehr einen Eindruck von – und lässt uns teilhaben an – den Alltagsnöten eines ägyptischen Beamten. Wie alle Staatsdiener scheint er ständig ängstlich auf den nationalen Rechnungshof zu blicken und ist eifrig darauf bedacht, seine Finanzmittel effizient einzusetzen. Und so finden sich Berechnungen darüber, wie viele Liter Bier oder wie viele Laibe Brot man für eine bestimmte Menge an Getreide bekommen sollte und wie man ausrechnet, ob das Bier oder das Brot, für das man bezahlt, «gepanscht» bzw. «gestreckt» ist.
    Der gesamte Rhind-Papyrus enthält 84 verschiedene Aufgaben – Berechnungen, die man in verschiedenen Szenarien angewandt haben dürfte, um die praktischen Schwierigkeiten des Verwaltungsalltags zu lösen, etwa die Frage, wie man den Steigungswinkel einer Pyramide berechnet oder die Futtermenge, die man für verschiedene Arten domestizierter Vögel benötigt. Die Aufgaben sindüberwiegend in schwarzer Farbe geschrieben, Rot wird für Überschrift und Lösung der jeweiligen Aufgabe verwendet. Interessanterweise ist der Text

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