Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
sollte.
Die Zhou formalisierten als Erste die Idee eines «Mandats des Himmels», also die chinesische Vorstellung, dass der Himmel die Autorität eines gerechten Herrschers legitimiert undstützt. Ein ungläubiger und unfähiger Herrscher würde den Göttern missfallen, und sie würden ihm ihr Mandat entziehen. Im konkreten Falle hieß das, dass die unterlegenen Shang offenbar das Mandat des Himmels verloren hatten und dass es auf die rechtschaffenen, siegreichen Zhou übergegangen war. Seit dieser Zeit bildet das Mandat des Himmels ein beständiges Charakteristikum des politischen Lebens in China, das die Autorität von Herrschern unterfüttert oder ihre Ablösung rechtfertigt. Wang Tao, Archäologe an der University of London, beschreibt das Konzept folgendermaßen:
«Das Mandat veränderte die Zhou, denn es erlaubte ihnen, über andere Menschen zu herrschen. Die Ermordung eines Königs oder eines hochrangigen Familienmitglieds war das fürchterlichste Verbrechen, das es überhaupt gab, aber jedes Verbrechen gegen eine Autorität ließ sich mit dem ‹Mandat des Himmels› rechtfertigen. Das Konzept gleicht in seiner totemistischen Eigenart der westlichen Demokratievorstellung. Wenn man in China die Götter oder die Menschen erzürnte, sah man Zeichen am Himmel – Donner, Regen, Erdbeben. Jedes Mal, wenn es in China ein Erdbeben gab, bekamen die politischen Führer schreckliche Angst, weil sie es als Reaktion auf irgendeinen Verstoß gegen das Mandat des Himmels interpretierten.»
Gui
wie diese hat man in einem breiten Streifen Chinas gefunden, denn der Eroberungsfeldzug der Zhou ging weiter, bis ihr Reich ein etwa zweimal so großes Gebiet wie das alte Königreich der Shang umfasste. Es war ein schwer zu regierender Staat, dessen Territorium mal größer, mal kleiner war. Gleichwohl währte die Zhou-Dynastie länger als das Römische Reich, ja, länger als jede andere Dynastie in der chinesischen Geschichte.
Und neben dem Mandat des Himmels begründeten die Zhou noch ein anderes bleibendes Konzept in China. Vor dreitausend Jahren gaben sie ihrem Land den Namen «Zhongguo»: das «Mittlere Königreich». Seither halten sich die Chinesen für das «Reich der Mitte», das im Zentrum der Welt liegt.
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Textil der Paracas-Kultur
Stoffstücke, von der Halbinsel Paracas, Peru
300–200 v. Chr.
Jede ernsthafte Betrachtung der Geschichte kommt nicht umhin, auch einen Blick auf die Kleidung zu werfen. Doch wie wir alle selbst aus leidvoller Erfahrung wissen: Kleidungsstücke halten nicht – sie nutzen sich ab, lösen sich auf, und was übrig bleibt, wird von den Motten zerfressen. Im Vergleich zu Stein, Keramik oder Metall sind Kleidungsstücke nicht unbedingt etwas, womit eine Weltgeschichte anhand von «Dingen» beginnen sollte und könnte. Bedauerlicherweise – aber doch auch nicht überraschend – kommen wir erst jetzt, mehr als eine Million Jahre nach dem Beginn unserer Geschichte, auf Kleidungsstücke zu sprechen und auf das, was sie uns über Ökonomie und Machtstrukturen, Klima und Sitten berichten können und darüber, wie die Lebenden die Toten sehen. Angesichts ihrer Anfälligkeit kann es nicht wirklich verwundern, dass es sich bei den Textilien, um die es uns hier geht, um fragmentarische Stücke handelt.
Um 500 v. Chr. erlebte nicht nur der Nahe Osten einen Wandel, sondern auch Südamerika. Die dortigen Artefakte waren insgesamt jedoch viel weniger «haltbar» als eine Sphinx; dort spielten vor allem Textilien eine zentrale Rolle bei den komplexen öffentlichen Zeremonien. Über das Amerika der damaligen Zeit erfahren wir ständig Neues, aber da wir über keine schriftlichen Quellen verfügen, liegt noch immer vieles im Dunkeln, verglichen beispielsweise mit dem, was wir über Asien wissen; wir haben nach wie vor Mühe, aus fragmentarischen Belegen wie diesen mehr als 2000 Jahre alten Kleidungsstücken Rückschlüsse zu ziehen, welche Verhaltensweisen und Vorstellungen diese Welt bestimmten.
Im Britischen Museum werden diese Textilien üblicherweise unter speziellen Bedingungen aufbewahrt und niemals für längere Zeit dem Tageslicht undirgendwelcher Feuchtigkeit ausgesetzt. Was als Erstes an ihnen auffällt, ist ihr außergewöhnlicher Zustand. Sie sind jeweils rund zehn Zentimeter lang und im Stengelstich gestickt, die verwendete Wolle stammt entweder von Lamas oder Alpakas – wir können es nicht genau sagen, denn beide Tierarten sind in den Anden heimisch und wurden schon bald
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