Eine glückliche Ehe
sich. »Die linke Lunge, Peter …«
»Hellmuth, mach keinen Quatsch! Hellmuth!«
Hasslick faßte Wegener unter die Achseln und schleifte ihn weiter in den Fluß hinein. Als das Wasser ihnen bis zum Magen ging, knallte der zweite Schuß. Die Kugel klatschte ins Wasser und traf Hasslick in den rechten Oberschenkel. Er knickte zusammen, hieb die Zähne aufeinander und hielt Wegener weiter umklammert.
»Jetzt bist du dran!« keuchte Wegener. »Mensch, laß mich fallen. Schwimm rüber! Du hast noch eine Chance! Hau ab, Peter …«
»Es ist nur ein Streifschuß, Hellmuth.«
»Um so besser! Schwimm los!«
»Halt die Schnauze …« Hasslick atmete tief durch. Sein Oberschenkel brannte, das ganze rechte Bein wurde von innen durchrüttelt, die Nerven revoltierten. Er drehte sich herum, legte sich Wegener auf den Rücken und versuchte, so mit ihm durch den Dnjepr zu kommen. »Kannst du mithelfen?« keuchte er. »Kannst du ein bißchen die Beine bewegen?«
»Die linke Lunge!« Wegener spuckte Blut. Es rann über sein Kinn, über den Hals und die Brust hinunter. »Peter, laß mich los! Es hat keinen Zweck mehr. Peter …«
»Schnauze!«
Jetzt schwammen sie, die Strömung trieb sie etwas ab, und es war, mit Hellmuth auf dem Rücken, leichter, als Hasslick gedacht hatte. Wegener bewegte die Beine, aber dann lag er ruhig, röchelte und blies den blutigen Schaum von sich wie rote Seifenblasen. Am Ufer, am Rande des verbrannten Dorfes Saledjow, saß der kleine Junge im Gras, das Gewehr über den spitzen Knien, und starrte auf die beiden schwimmenden deutschen Soldaten.
»Verreckt!« sagte er und weinte wieder. »Ihr habt Mamuschka getötet und Irinuschka und alle, alle habt ihr getötet! Verreckt endlich …«
Dann warf er sich rücklings ins Gras und heulte wie ein junger Wolf.
Sie erreichten tatsächlich das andere Ufer des Dnjepr.
Mit letzter Kraft kroch Hasslick ans Land und zog Wegener aus dem Wasser. Er lebte noch, hatte die Augen weit offen und atmete pfeifend. Und mit jedem Atemzug quoll hellrotes Lungenblut über seine Lippen.
Hasslick schleifte Wegener weiter auf das Land, er konnte ihn nicht mehr tragen, er wunderte sich selbst, daß er mit dem Schuß in den Oberschenkel überhaupt noch gehen konnte. An einem Erdhaufen blieb er stehen, lehnte Wegener dagegen und setzte sich neben ihn. Er wickelte das Bündel auf, seine Uniform und die MP, die er sich vor die Brust gebunden hatte, breitete alles zum Trocknen in der Sonne aus und holte aus der Tasche die drei Verbandspäckchen, durchnäßt wie alles, ein klebriger Haufen Mull. Hellmuth schüttelte den Kopf.
»Laß den Quatsch, Peter«, röchelte er. Seine Stimme hatte sich verändert, sie war höher und pfeifender. »Es ist vorbei. Glaub mir, du Idiot … ich habe vier Semester Medizin studiert …« Der blutige Schaum wehte über seine zuckende Brust. »Saus weiter, Kumpel!«
»Wenn du noch weiter quatschst, ballere ich dir eine!« sagte Hasslick. Er schob Wegener nach vorn, sah die Einschußwunde im Rücken und wußte, daß es tatsächlich zu Ende war. Er drückte die nassen Mullbinden gegen den Einschuß und schob Wegener zurück gegen den Erdhaufen.
»Das tut gut«, sagte Hellmuth und lächelte verzerrt. »Es kühlt …«
Sie saßen sieben Stunden am Ufer des Dnjepr, bis drüben auf der anderen Seite erdgelbe Lastwagen erschienen. Der rote Stern auf den Kühlern leuchtete in der Nachmittagssonne. Eine Menge sowjetischer Soldaten quoll unter den Planen hervor, stellte sich am Ufer auf und blickte hinüber zu den einsamen, nackten deutschen Soldaten. Ihre Stimmen flogen über den Fluß. Dann holten sie ein Schlauchboot aus einem der Lastwagen, bliesen es auf und trugen es in den Dnjepr.
»Jetzt kommen sie«, sagte Hasslick. Er hatte Hellmuths Kopf in seinen Schoß gebettet, einen glühenden, dennoch bleichen Kopf. Das Blut auf den Lippen war geronnen, schaumig, wie roter türkischer Honig.
Wegener schlug die Augen auf. Er sammelte Kraft, um zu sprechen, und als es soweit war, tastete er nach Hasslicks rechter Hand, die auf seiner Brust lag.
»Peter …«
»Halt die Klappe, Hellmuth! In einer halben Stunde bist du richtig verbunden, und morgen früh liegst du in einem russischen Feldlazarett.«
»Nimm meine Papiere …«
»Warum?«
»Damit Irmi – damit meine Frau nicht Witwe wird …«
»Junge, du hast einen Lungenschuß, aber keinen Kopfschuß.«
»Sie soll nie wissen, daß ich gestorben bin. Sie liebt mich so sehr. Irgendwie siehst du mir
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