Eine glückliche Ehe
in Schlammseen verwandelnden Boden.
»Ja …«, sagte Wegener. Das Blutrinnsal vergrößerte sich um ein paar Tropfen. Aber es kam kein Schaum mehr. Der Atem hob kaum die Brust.
»Wir leben, Hellmuth! Was hab ich dir gesagt, du alte Unke? Wir bringen diese Scheiße hinter uns und krepieren nicht! Sie haben uns verbunden und karren uns nach hinten. Uns kann jetzt der ganze Krieg am Arsch lecken!« Hasslick rutschte auf seiner vollgepißten Decke zur Seite und schob sich nahe an Wegener heran. Er beugte sich über ihn und starrte ihm ins Gesicht.
Ist er das wirklich, dachte er erschrocken. Mensch, der ist tot und redet noch … Er tastete nach Wegeners Kopf, ein zusammengefallenes, im Fieber glühendes Kindergesicht, aber es war ein Fieber der fahlen Blässe.
»Hellmuth –«, sagte Hasslick. Seine Kehle war wie zugeschnürt. »Hellmuth, wir schaffen es! Junge, kneif den Hintern zusammen! Irgendwann laden sie uns aus, und dann ist ein Arzt da …«
»Irgendwann …«, sagte Wegener kaum hörbar. Hasslick mußte sich über seine Lippen beugen, um ihn zu verstehen. »Sinnlos …«
»Im Lazarett päppeln sie dich hoch.«
»Steckschuß …« Wegener wollte die Augen öffnen. Es gelang nur halb. Unter den flatternden Lidern hindurch sah er Hasslick an. Augen, die ihm nicht mehr gehorchten. »Steckt in der Lunge, Peter … Operieren … Sinnlos …«
Die Erschöpfung ließ ihn zusammenfallen. Die Augendeckel klappten wieder zu, der Atem pfiff über die aufgequollenen Lippen.
Verdammt, wo fahren sie uns bloß hin, dachte Hasslick. Stundenlang querfeldein, diese Idioten! Dann konnten sie uns auch am Dnjepr krepieren lassen oder uns den Schädel einschlagen!
»Wir sind gleich da, Hellmuth«, sagte er und streichelte Wegeners fahlbleiches spitzes Gesicht. »Wir sind gleich da. Die haben sich doch was dabei gedacht, als sie uns aufgeladen haben …«
Nach einer Stunde fuhr der Wagen ruhiger. Die Räder tuckerten, der Aufbau zitterte rhythmisch. Hasslick lag neben Wegener und starrte auf die über ihm im Fahrtwind knatternde Plane.
Eine gepflasterte Straße, dachte er. Wir kommen in eine Stadt! Mensch, Hellmuth, sie fahren uns wirklich in eine Stadt!
Und dann, als zöge man einen Vorhang weg, waren tausend Geräusche um sie herum. Motorengebrumm, Panzerlärm, Pferdewiehern, Stimmen, das Gedröhn von Panzerkanonen, laute Rufe, Hupen. Der Wagen schwankte noch stärker, anscheinend ging es in scharfe Kurven, dann seufzten und knirschten die Bremsen, und das Fahrzeug hielt.
Wieder Stimmen, jemand schlug mit einem harten Gegenstand gegen den Wagen.
Hasslick legte seine Hand auf Wegeners Brust und wartete. Er hob den Kopf, als die Plane zurückgeschlagen wurde und im Dunkel – es war tatsächlich Nacht – die Umrisse eines Kopfes erschienen.
»Kannst du gähän?« fragte eine Stimme.
»Wenn's sein muß …« Hasslick richtete sich auf. Der Kopf schob sich etwas zurück.
»Komm raus!«
Hasslick rutschte etwas nach vorn, die Ladeklappe fiel herunter. »Mein Freund –«, sagte er laut. »Zuerst meinen Freund. Ich habe Zeit.«
»Raus!« sagte die Stimme. Sie wurde scharf. »Dawai!«
»Sofort.« Daran muß man sich jetzt gewöhnen, dachte er. Kriegsgefangener. Plenny. Herdenmensch, mehr nicht. Aber man lebt, und man hat die Chance, auch das zu überleben.
Er kroch nach vorn, ließ die Beine herunterhängen und blickte sich um.
Der Wagen stand vor einer Schule. Ein alter Ziegelbau, hell erleuchtet. Vor dem Eingang hielten russische Sanitätswagen, man lud Verwundete aus. Im Laufschritt trugen die Sanitäter die Tragen in das Haus.
Mein Gott, die Schule kenne ich ja! durchfuhr es Hasslick. Wir sind in Orscha. Das deutsche Feldlazarett Orscha. In jeder Klasse Strohsack neben Strohsack, im Erdkunderaum die Betten der verwundeten Offiziere, im Lehrerzimmer der Operationssaal. Ein transportabler OP-Tisch, drei Küchentische. Und im Keller stapelten sich die Leichen. Es wurde schneller gestorben, als man begraben konnte.
Vier Hände ergriffen ihn, hoben ihn von der Ladefläche und stützten ihn. Der Fahrer des Wagens, ein kleiner Kalmücke, grinste ihn an.
»Gutt – ja?« fragte er. »Gutt – ja?«
Hasslick versuchte, das rechte Bein zu belasten. Es gelang wider Erwarten, aber er hatte keine Kraft, es zu einer Gehbewegung zu zwingen. Er stützte sich auf die beiden Russen, die ihn aus dem Wagen gehoben hatten, und blickte in das Dunkel des Laderaums zurück.
»Mein Freund –«, sagte er.
»Gähänn!« Es war der
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