Eine glückliche Ehe
Russe, dessen Kopf er zuerst gesehen hatte, ein älterer Leutnant, ein Reservist, der in der Etappe für Ordnung sorgen mußte.
Etappe! Orscha ist schon Etappe, dachte Hasslick. Sie haben es geschafft, die Iwans. Sie haben ihren Durchbruch. Ist das nun das Ende?
Er humpelte, gestützt von den beiden Russen, zum Eingang der Schule. Gerade als er im vollen Licht der offenstehenden Doppeltür stand, kam eine russische Ärztin heraus. Ein schlankes, zierliches Mädchen mit breiten Schulterstücken auf ihrer Uniform. Sie blickte über die Sanitätsautos und streifte auch Hasslick mit einem Blick.
In diesem Augenblick wurde sich Hasslick bewußt, daß er untenherum nackt war. Er starrte die schöne Ärztin an, wurde verlegen und spürte, wie das Blut in seine Schläfen stieg. Er wollte eine Hand vor sein Geschlecht legen, aber er wagte es nicht, aus Angst, er könne dann den Halt verlieren. So blieb er zwischen den beiden Russen hängen und hoffte, die junge Ärztin werde wieder ins Haus gehen.
Sie beachtete ihn gar nicht, drehte sich um, rief mit heller Stimme ein paar Befehle ins Haus zurück und lief dann über den langen Flur davon.
»Dawai!« sagte einer der Russen, die Hasslick stützten. »Gähänn!«
Sie luden ihn im Flur auf einer Bank ab. Hasslick lehnte sich zurück, streckte das rechte Bein aus und wartete. Er sorgte sich um seinen Kameraden.
Durch den Eingang trugen sie jetzt Hellmuth Wegener. Sie hatten ihn auf eine Trage aus zwei Stangen und Segeltuch geschoben, stellten sie neben Hasslicks Bank ab und gingen wieder hinaus. Hasslick beugte sich über den Freund. Wegener atmete noch, aber sein Gesicht war noch fremder, noch lebensferner geworden.
»Einen Arzt!« brüllte Hasslick plötzlich, als zwei russische Schwestern an ihm vorbeigingen. »Läkari! Doktor! Läkari!«
Die Schwestern zuckten zusammen, sahen ihn böse an, und eine sagte laut: »Germanski kaputt! Värstähn? Kaputt!« Dann gingen sie weiter und lachten laut.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon auf dieser Bank hockte, mit nacktem Unterleib. Ein paarmal lief die sowjetische Ärztin an ihm vorbei, und er deckte die Hände nicht über seine Männlichkeit, ihm war's jetzt egal, wer schämt sich, wenn er vor der Hölle sitzt! Er rief sie sogar an, zeigte auf seinen Freund und sagte: »Druck, pomoschtsch { * } …«
Die schöne Ärztin blieb stehen, betrachtete Wegener, zuckte dann mit den schmalen Schultern und sah Hasslick mit grauen Augen an.
»Erst russische Verwundete –«, sagte sie in einem erstaunlich guten Deutsch.
»Dann hätten wir gleich am Dnjepr krepieren können!« schrie Hasslick.
»Ich schicke deutschen Arzt.«
»Was? Wir haben deutsche Ärzte hier?« Hasslick drückte nun doch die rechte Hand vor seinen blanken Schoß. Die Ärztin lächelte ganz leicht in den Mundwinkeln, in ihren kalten grauen Augen erschien ein gelber Punkt – das Spiegelbild der Glühbirne, die über Hasslick an der Wand pendelte.
»Du Schwein bist!« sagte sie hart. »Stolzes Schwein, was? Stolz auf töten!« Sie tippte Hasslick auf das Infanteriesturmabzeichen und die Panzerspange, holte weit aus, gab ihm eine schallende Ohrfeige, drehte sich schroff um und lief weiter.
Hasslick saß erstarrt und stierte ihr nach. »So eine Scheiße!« sagte er nach einer ganzen Zeit. Ihm war bewußt geworden, daß er ja Wegeners Rock trug. Fähnrich Wegener hatte 1943 vier Panzer mit geballten Ladungen in die Luft gesprengt.
Der Strom der Verwundeten riß nicht ab. Ununterbrochen lud man aus Sanitätswagen zerfetzte Leiber aus, eilten die Träger im Laufschritt zu den Operationsräumen. Jammern und unterdrücktes Schreien lag in der Luft, ein Geruch nach Blut und Eiter, Urin und Kot.
»Maria Fedorowna sagte mir gerade, daß zwei Kameraden eingeliefert worden sind«, sagte eine Stimme. Hasslick schrak auf. Er war eingenickt, erschöpft, zerstampft von den Schmerzen, die ihn durchtobten und die niemand linderte.
Ein weißhaariger Mann in deutscher Uniform mit Hauptmannsschulterstücken, den blutigen weißen Kittel lose über die Schultern gelegt, stand vor ihm.
»Herr Stabsarzt …«, stammelte Hasslick. »Mein Gott, es gibt Sie wirklich?! Tun Sie was für meinen Freund! Er hat einen Lungenschuß.«
Hasslick blickte zur Seite. Die Trage aus Segeltuch war noch da, aber Hellmuth Wegener sah er nicht mehr. Über seinen Körper und sein Gesicht hatte man eine Decke gebreitet.
»Hellmuth …«, stammelte er. Dann fuhr er herum, wollte etwas schreien,
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