Eine glückliche Ehe
hier auf dem Drehstuhl eine Spritze geben und sie hinauftragen ins Bett.
Vor dem Haus standen die Männer der Mordkommission herum. Der Fotograf kam mit seinem Kamerakoffer zurück, der Polizeiarzt fuhr wieder ab, und es war klug, daß er sich nicht von den Wegeners verabschiedete.
»Irmi –«, sagte Wegener leise und streichelte ihr blondes Haar. »Bitte, komm nach oben.«
Sie schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück und zog den Mantel enger um sich. Der Arzt sah Wegener an und zuckte stumm mit den Schultern. Man kann ein Machtwort sprechen, natürlich. Ein Arzt – das ist merkwürdig und muß mit der Mystifizierung dieses Berufes zusammenhängen – kann laut werden, und meistens parieren dann die Patienten, kapitulieren vor seinem Ansehen und seiner Macht. Aber hier hatte es keinen Sinn. Wie kann man eine junge, schwangere Frau anschreien, deren Vater erschossen wurde und der nun dreißig Meter von ihr entfernt auf kalkbestäubtem Betonboden liegt?
Es war auch schon zu spät, Irmgard mittels eines Tricks nach oben zu bringen. Vor dem Haus hielt ein geschlossener schwarzer Kastenwagen. Zwei Männer trugen einen länglichen, im Nachtlicht schwach blinkenden Gegenstand um das Haus herum. Er sah aus wie eine Wanne mit Deckel. Hellmuth Wegener zog die Schultern hoch.
Irmi erhob sich. Sie raffte den Mantel vor Brust und Leib zusammen und ging langsam zur Ladentür.
»Tun Sie was, Doktor!« flüsterte Wegener entsetzt.
»Mehr als festhalten können wir sie nicht …«
»Wenn ich sie festhalte, jetzt festhalte … ich glaube, sie schlägt um sich …«
»Sie kennen Ihre Frau besser als ich.« Der Arzt wischte sich über die Augen. »Mehr als bei ihr sein können wir jetzt nicht.«
Sie hatte die Tür erreicht, öffnete sie aber nicht. Sie stellte sich an die Scheibe und blickte hinaus auf die Straße, auf den schwarzen Kastenwagen, auf die Herren von der Mordkommission. Kommissar Runckel kam zurück. Ihm folgten die beiden Männer mit dem schwach blinkenden länglichen Gegenstand und als letzter der Uniformierte.
Wegener und der Hausarzt traten rechts und links neben Irmgard und faßten sie unter. Stumm starrte sie durch die Scheibe der Ladentür auf den Zinksarg, den die Männer in den Kastenwagen schoben. Es polterte etwas, man hörte es ganz deutlich. Vielleicht stieß der Sarg irgendwo im Wagen an, aber Tote bekommen ja keine blauen Flecken. Nicht davon.
Die Tür klappte zu. Es gab keinen Johann Lohmann mehr.
Und plötzlich, ohne daß Hellmuth Wegener oder der Arzt von irgendeinem Anzeichen hätten gewarnt werden können, schrie sie. Schrie so fürchterlich, so hell, so unmenschlich, daß Wegener ihren Kopf an sich riß und nicht wußte, ob er ihr den Mund zuhalten sollte. Und während der schwarze Kastenwagen abfuhr, mit drei Fehlzündungen, die sich anhörten wie Schüsse, schrie und schrie sie, und der Arzt rannte zu seiner Tasche, riß sie auf und suchte nach einer Spritze und einer Ampulle.
»In einer Blechwanne haben sie ihn weggetragen!« schrie sie. »Meinen Vater in einer Blechwanne! Vater! Vater!« Und dann, heller noch, kindlicher: »Papa! Papa! Warum gehst du weg? Warum gehst du …«
Hellmuth Wegener drückte sie fest an sich. Und sie schrie und schrie, den offenen Mund an seiner Brust, und als Dr. Hampel ihr den Ärmel aufstreifte und ihr die Injektion gab, biß sie Hellmuth in die Brust, und er hielt den Schmerz aus – und dann mußte auch er weinen …
Ebenso plötzlich, wie ihr wilder Ausbruch gekommen war, sank sie zusammen. Wegener fing sie auf und trug sie mit dem Arzt zur Couch und legte sie hin.
»Sie muß sofort in die Klinik!« sagte der Arzt. »Dieser Schock. Das habe ich nicht geahnt. Sie auch nicht, Herr Kollege …«
Wegener starrte ihn mit feuchten Augen an. Kollege? Ja, natürlich, er war der Mediziner Wegener, noch nicht fertig mit dem Studium, aber immerhin für die Ärzte schon eine Art Kollege … In solchen Augenblicken kann man das schon vergessen, da ist man plötzlich wieder der Schlosser Hasslick.
Der Arzt telefonierte bereits. Das Krankenhaus war ganz in der Nähe, nur um die Ecke herum, aber sie wagten nicht, Irmgard mit einem Privatwagen hinzubringen. Sie lag auf der Couch und atmete schwer, ihr gewölbter Leib quoll auf und nieder, sie war kalt von den Füßen bis zur Stirn, als Wegener sie abtastete, und ihr schönes, so reines Gesicht mit dem Goldhaar schien zusammenzuschrumpfen, je heftiger sich ihr schwangerer Leib bewegte.
»Wann kommt der
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