Eine glückliche Ehe
kumpelhaft an, klemmte sich das Krankenblatt unter den Arm und stand auf.
»Sie gehen?«
»Ich muß die Sachen zur Station bringen.«
»Sie lassen mich hier allein?«
Ihr Lächeln wurde maskenhaft. »Ich kann doch nicht bei Ihnen sitzen bleiben, Herr Wegener. Ich habe Dienst …«
»Darf … darf ich auf den Gang hinaus?« fragte er und sprang vom Stuhl auf.
»Natürlich.«
»Danke, Schwester.«
Er ging mit ihr auf den Flur, sie eilte schnell zu einem Aufzug und verschwand hinter der zurollenden Tür. Der Professor war auch weg, aber der Hausarzt war noch da, stand am Fenster und blickte zwischen zwei Geranientöpfen hinunter auf die Straße, wo ein neuer Krankenwagen heranrollte. Nachtdienst in einer großen Klinik. Das Zucken des Blaulichtes reflektierte im Fenster und gab dem Gesicht des Arztes etwas Gespenstisches.
»Doktor«, sagte Wegener tonlos, als er neben ihm stand. »Was meint der Professor?«
»Ah! Sie sind fertig mit dem Schriftkram?« Dr. Hampel machte trotz der späten Nacht einen ziemlich frischen Eindruck. »Der Professor kann natürlich gar nichts sagen, weil er eben erst in den Kreißsaal gegangen ist. Aber ich habe ein gutes Gefühl, trotz des achten Monats.«
»Sie haben immer ein gutes Gefühl, Dr. Hampel.«
»Optimismus ist die halbe Medizin, lieber Wegener!«
»Eine Geburt im achten Monat ist immer kritisch, nicht wahr?«
»Man hat sie nicht gern! Aber was hat ein Mediziner schon gern? Haha!« Dr. Hampel versprühte faustdicken Zweckhumor, aber das floß an Wegener ab wie Wasser von einer Wachstuchhaut. »Ihre Frau hat eine Roßnatur, das wissen wir doch!«
»Ihr Vater liegt in einem Zinksarg bei der Polizei«, sagte Wegener leise. »Vergessen wir das nicht!«
Die Lage war durchaus nicht rosig, das erkannte Professor Dr. Goldstein sofort, noch bevor er die Patientin gesehen hatte. Eine Frühgeburt unter diesem massiven Schock, das roch geradezu nach Komplikationen! Er hatte kurz darüber mit Dr. Hampel gesprochen, auch, daß er den Apotheker Lohmann persönlich gekannt hatte, die Tochter Irmgard auch, flüchtig, einmal gesehen, nettes, frisches Ding mit ihren goldblonden Haaren, der man ihre 26 Jahre nicht ansah. Eine Art Kindweib, wenn man so sagen darf. Aber das sind die Frauen mit den verborgenen ungeheuren Energien. Eigentlich ein Rätsel der Natur. Und so ein braver Mann muß auf so furchtbare Weise umkommen! Von einem kleinen Dieb erschossen, wegen eines Heizkörpers.
Dr. Hampel hatte das ein gutes Gespräch genannt. Es hätte auch kühler verlaufen können, nur getragen von der ärztlichen Pflicht.
1934 hatte man Dr. Ludwig Goldstein aus Deutschland verjagt, oder besser: Es war ihm gelungen, gerade noch rechtzeitig über die belgische Grenze und dann per Schiff in die USA zu kommen, ehe man den gelben Judenstern an seinen Anzug heften konnte, um ihn bald darauf in ein KZ zur Endlösung einzuliefern. In Richmond war er dann Professor geworden. Er war einer der ersten Juden gewesen, die nach Deutschland zurückgekehrt waren, getrieben vom Heimweh, das ihn nie verlassen hatte. Man gab ihm die Gynäkologische Klinik in Lindenthal, er wurde Chef und Ordentlicher Professor an der Universität, und so erfuhr er ganz zwangsläufig einiges über den Apotheker Lohmann und dessen Familie, vor allem über einen Hannes Lohmann. Die Familie Lohmann sollte sich im sogenannten ›Dritten Reich‹ große Verdienste in der Partei erworben haben. Der Apotheker nicht – aber die übrige Familie.
Dr. Hampel jedenfalls war froh, daß die Unterhaltung mit Professor Goldstein so freundlich verlaufen war, und das rechtfertigte auch sein heiteres Wesen in dieser kritischen Stunde.
»Was – was kann passieren?« fragte Wegener leise.
»Nichts kann passieren!« grollte Dr. Hampel. »Mann, reißen Sie sich doch zusammen! Sind selbst fast ein Arzt, waren Fähnrich im Krieg, schwer verwundet, haben die ganze Scheiße an der Front durchgestanden mit Nahkampfspange und EK I – und jetzt, bei der eigenen Frau, benehmen Sie sich wie … wie … mir fällt kein Vergleich ein, Herr Wegener! Goldstein holt das Kind, wenn's nicht von selber kommt, und damit basta! Es gibt keinen Besseren als Goldstein!«
»Das glaube ich.« Wegener lehnte sich an die weißlackierte Wand des Flures. Unten auf der Straße fuhr schon wieder ein Krankenwagen mit Blaulicht vor. Heute schien eine Nacht zu sein, in der die Frauen besonders gebärfreudig waren. »Aber warum kommt denn keiner?«
»Wer soll denn
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