Eine glückliche Ehe
Fleck starrten ihn weit aufgerissene Augen an. Der Mund bewegte sich, aber der Mensch hatte nicht mehr die Kraft, auch nur einen Laut von sich zu geben.
Wegener fiel auf die Knie, die Pistole schepperte über den Boden. Er schob beide Hände unter den Kopf des Sterbenden und starrte ihn an.
»Vater …«, stammelte er. »Mein Gott, Vater! Was ist denn los?! Vater! Vater!«
Das Wort brach aus ihm heraus mit allem Schmerz, den er in dieser Sekunde spürte, mit aller Hilflosigkeit, allem Entsetzen, aller Erkenntnis, die über ihn hereinbrachen.
Johann Lohmann sah Hellmuth Wegener starr an. Seine Lippen bewegten sich, aber es gab keinen Ton mehr in dieser Brust. Er erzählte, was geschehen war: wie er auf dem Heimweg vom Stammtisch, als er an der Baustelle vorbeigekommen war, den Lichtschein einer Taschenlampe gesehen, wie er eine Eisenstange aufgehoben hatte und mit den Worten »Heizkörper klauen? Nicht bei mir!« dem unsichtbaren Dieb entgegengetreten war – und wie der volle Lichtschein ihn geblendet und wie ihn zur gleichen Zeit ein Schlag auf die Brust getroffen und er das Bewußtsein verloren hatte …
Er erzählte alles, aber es war ohne einen Laut, sein Hirn dachte nur noch die Worte, während sein Körper schon aufgegeben hatte.
Wegener hielt noch immer Lohmanns Kopf in beiden Händen. Einen Arzt, dachte er. Einen Krankenwagen! Und oben liegt Irmi im Bett und wartet … Ich kann Vater doch nicht ins Haus tragen, wer weiß, wo er getroffen ist, ich muß ihn hier liegen lassen, ins Haus rennen und einen Arzt und das Krankenhaus alarmieren. Ich muß … ich muß …
Aber er tat nichts. Er blieb knien, hielt Lohmanns kalkgepuderten Kopf weiter umklammert und sah ihn an. Es hatte alles keinen Zweck mehr. Eine Minute vielleicht noch, nicht einmal diese … ein paar Sekunden nur noch, er kannte das ja.
»Vater«, sagte er leise. »Vater, ich verspreche dir, immer bei Irmi zu sein. Immer! Mein ganzes Leben wird Irmi sein! Ich will verfaulen, wenn das jemals anders wird …«
Johann Lohmann fiel in sich zusammen. Sein Körper sackte weg, es war, als hielte Wegener den Kopf allein, abgetrennt vom Rumpf, zwischen seinen Händen. Er wartete, obgleich er wußte, daß Lohmann tot war, legte sein Ohr an die kalten Lippen und ließ dann den Kopf ganz langsam auf den Betonboden zurücksinken.
Im gleichen Augenblick traf ihn voll der Lichtstrahl einer Taschenlampe. Mit einem wilden Schwung warf er sich zur Seite, rollte über den Boden, erreichte seine Pistole und hechtete hinter die aufgeschichteten Heizkörper. Zu spät, du Saukerl, dachte er, als er in Sicherheit lag. So schnell verlernt man das nicht. Jetzt bin ich am Drücker, und jetzt knall' ich dich ab, wie du Johann Lohmann abgeknallt hast!
»Ist er tot?« fragte eine kindliche Stimme hinter dem Lichtstrahl. »Wer hat ihn erschossen?«
Die Pistole fiel Wegener aus der Hand. Er sprang auf, mitten in den Lichtstrahl hinein und breitete seine Arme aus, als könne er damit den toten Lohmann vor ihrem Blick verdecken.
»Irmi!« schrie er hell. »Du solltest doch … Irmi!«
Er stürzte auf sie zu, zog ihr die Lampe aus der Hand und knipste sie aus. In der plötzlichen Dunkelheit riß er sie an sich, umschlang sie mit beiden Armen. Er spürte, wie sie zitterte, und er spürte das Leben in ihrem gewölbten Leib.
»Du solltest im Bett bleiben!« schrie er sie an. Er mußte schreien, obgleich er wußte, daß weder Schreien noch völlige Stille jetzt irgendeine Wirkung haben konnten. »Warum bist du gekommen?!«
Er preßte ihr Gesicht gegen seine Brust, und ihr Körper in dem Nachthemd unter dem gesteppten Morgenmantel begann stärker zu zittern.
»Er ist tot, nicht wahr?« hörte er ihre Stimme gegen seine Brust. »Ich habe nicht geträumt.«
Sie sagte das so nüchtern, daß er zu frieren begann, als läge er nackt auf einem Eisblock. Sie sagte es so erstarrt, wie mit getöteter Seele – er selbst hätte jetzt immerfort schreien können, aus einer Angst heraus, die unbeschreiblich war.
»Komm!« sagte er mühsam. »Irmi, komm zurück ins Haus. Wir – wir müssen den Arzt rufen, die Polizei, wir …« Seine Stimme zerbrach. Er wollte sie wegführen, hinaus aus der Halle, aber sie bewegte sich nicht.
»Warum? Warum? Warum?« sagte sie plötzlich. Und jedes Warum wurde lauter. »Warum?!«
»Irmi, ich flehe dich an … komm jetzt! Denk an unser Kind!«
Sie nickte. Das Zauberwort wirkte auch jetzt. Unser Kind. Sie ließ sich hinausführen, hinüber ins Haus,
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