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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Verrats und des Mordes. Darum sagte ich … « Massinger hielt inne. »Mein Französisch ist ein bisschen eingerostet, müssen Sie wissen. Ich habe mich ihr gegenüber wohl nicht klar genug ausgedrückt. Ich wollte sie beschwichtigen und sagte so etwas wie: Wir können natürlich nicht ganz ausschließen, dass Abelard Schwimmer – Sie – ein Verräter ist. Das sei zwar unwahrscheinlich, doch falls ihr Verdacht sich bestätigen würde, sollte Madame Duchesne Sie entsprechend behandeln, ohne Gnade.«
    »Gar nicht so einfach, das auf Französisch zu vermitteln, selbst wenn man die Sprache fließend beherrscht«, bemerkte ich.
    »Da haben Sie recht, ich war etwas überfordert. Ich habe wohl traître und traiter verwechselt.« Massinger sah mich zerknirscht an. »Ich fürchte, ich habe von Ihnen als traître sans pitié gesprochen … «
    »Das ist recht unmissverständlich. Ein ›gnadenloser Verräter‹.«
    »Dabei wollte ich sagen, dass man Sie ohne –«
    »Mir ist schon klar, wie die Verwirrung zustande gekommen ist.«
    »Ich habe nächtelang wach gelegen und den genauen Wortlaut zu rekonstruieren versucht. Glockners Tod hatte uns beiden einen Schock versetzt. Wir waren im Ausnahmezustand.«
    »Mag ja sein. Die Frau hat aber drei Mal auf mich geschossen. Aus kürzester Entfernung. Und das alles nur wegen Ihres Pennälerfranzösisch.«
    »Wie ist Glockner gestorben?«, fragte Massinger, offensichtlich darauf erpicht, das Thema zu wechseln.
    »An einem Herzinfarkt – wie ich von Madame Duchesne erfahren habe.«
    »Als Sie ihn verließen, ging es ihm aber noch gut.«
    »Ja. Er hat sein Geld gezählt.«
    Warum muss ich immerzu lügen? Meine innere Stimme sagt, je weniger ich preisgebe, desto besser. Massinger und ich haben uns noch ein Weilchen unterhalten, und er teilte mir mit, dass Munro mich aufsuchen würde, um die Briefe zu entschlüsseln. Schließlich stand er auf und gab mir die Hand.
    »Ich bitte Sie aufrichtig um Entschuldigung, Rief.«
    »Was soll ich da noch sagen, in Anbetracht der Umstände. Was ist eigentlich mit Madame Duchesne passiert?«
    »Sie ist mit dem Zug nach Genf zurückgefahren. Dort ist sie nun wieder als Agent Freudenfeuer im Einsatz. Der Wert ihrer Arbeit ist mit Gold nicht aufzuwiegen.«
    »Weiß sie, dass ich überlebt habe?«
    »Sicher glaubt sie, dass Sie tot sind. Ich hielt es für besser, die Angelegenheit ihr gegenüber nicht mehr zu erwähnen – um sie nicht über Gebühr zu beunruhigen. Sie glaubte ja, meinen Befehl auszuführen. Daraus kann man ihr kaum einen Vorwurf machen.«
    »Das ist hochanständig von Ihnen.«
    Meine Mutter hatte mir die Post aus Claverleigh mitgebracht, darunter befand sich auch der Umschlag mit den Glockner-Dechiffrierungen, den ich mir selbst aus Genf geschickt hatte. Ich fertigte von allen sechs Briefen saubere Kopien an und gab sie Munro, als er mich gestern besuchte.
    Wir saßen im Aufenthaltsraum des College. Abgesehen von einer Bridgerunde, die sich auch dorthin zurückgezogen hatte, war es ruhig. Ein kühler, verregneter Tag, der den Herbst einläutete.
    Ich breitete die Transkriptionen auf dem Tisch aus. Munro blickte ernst drein.
    »Mich beunruhigt, dass dieser Mann offenbar über alles Bescheid weiß«, sagte er. »Sehen Sie hier – Verlegung von zwei Schießkurven auf der Bahnstrecke von Hazebrouck nach Ypres … « Munro deutete auf einen anderen Brief. »Oder hier – die Anzahl der Lazarettzüge in Frankreich, die genaue Lage der Munitionsbahnhöfe … «
    »Könnte er mit der Bahnverwaltung zu tun haben?«
    »Ziemlich naheliegend – aber was ist mit diesen vielen Furage-Angaben?«
    »Stimmt, das verstehe ich auch nicht«, erwiderte ich.
    »Im Frankreicheinsatz kommt auf drei Männer jeweils ein Pferd. Das sind Hunderttausende, und die müssen alle gefüttert werden.«
    »Ach so. Man folgt einfach der Furage-Spur und findet die Truppenverstärkung.«
    Munro grübelte weiter. »Wo mag er stecken? Im Bewaffnungsministerium? Im Verwaltungsrat des Eisenbahnamts? Im Sekretariat des Generalquartiersmeisters? Im Generalstabsquartier? Im Kriegsministerium? Aber wie passt das damit zusammen?« Er nahm den fünften Brief und zitierte: »›Zwei Tau Kühlla aus Kanada angefordert.‹ Kühllaster. Woher weiß er das?«
    »Was macht man damit?«
    »Ein Soldat will auch an der Front frisches Fleisch essen, oder etwa nicht, Leutnant?«
    Während Munro nachdachte, strich er sich mit dem Zeigefinger über den adretten Schnurrbart. Dann sah er mich mit

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