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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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und muss zurzeit noch einen Gehstock benutzen.
    Ich kann auch von Glück reden, weil irgendein Mechaniker oder Heizer aus dem Maschinenraum getreten ist, nachdem Florence Duchesne enteilt war, und mich in meiner stetig größer werdenden Blutlache vorgefunden hat. Ich wurde sofort in eine kleine Klinik in É vian eingeliefert, wo Massinger mich schließlich aufspürte. Er sorgte dafür, dass man mich umgehend mit einem eigenen Krankenwagen in das britische Hauptlazarett in Rouen überführte.
    Dort blieb ich vier Wochen zur Genesung, weil sich in meiner verletzten Lunge ständig Blut sammelte und regelmäßig abgesaugt werden musste. Meine linke Hand war eingegipst, da die Kugel unterwegs ein paar Knöchelchen zerschmettert hatte. Doch es war mein Oberschenkel, der partout nicht heilen wollte. Obwohl die Kugel und die Münzen in Rouen herausgezogen wurden, schien die Wunde sich immer wieder von selbst zu infizieren und musste unablässig dräniert, gereinigt und neu verbunden werden. In dieser Zeit war ich meist gezwungen, mit Krücken zu gehen.
    Ende August wurde ich nach England beziehungsweise Oxford eingeschifft. Meine Mutter besuchte mich, kaum dass ich mein Zimmer im Somerville College bezogen hatte. Von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, kam sie in mein Zimmer gerauscht, und vor lauter Schreck glaubte ich zunächst, Florence Duchesne wäre zurückgekehrt, um mir den Gnadenschuss zu geben. Crickmay Faulkner war einen Monat zuvor gestorben – als ich mich gerade in Genf aufhielt – und meine Mutter war noch in Trauer.
    Sie erzählte mir, die schlimmste Nacht ihres Lebens habe sie nach Empfang des Telegramms mit der Meldung, ich sei »nach Kampfeinsatz vermisst«, verbracht. Crickmay lag im Sterben, und sie dachte, ihr Sohn wäre ebenfalls dem Leben entrissen. Am folgenden Morgen hatte sie allerdings Besuch von einem »Marineoffizier« bekommen – bärtig, mit einem äußerst eigenartigen, geradezu unheimlichen Lächeln, wie meine Mutter sagte – , der den weiten Weg nach Claverleigh nicht gescheut hatte, um ihr mitzuteilen, man habe mich offenbar gefangen genommen, ohne mir ein Härchen zu krümmen. Nun fiel es ihr schwer zu begreifen, wieso ich, »von Kugeln durchsiebt«, in einem englischen Hospital lag. Ich erklärte ihr, dass der Marineoffizier (es konnte nur Fyfe-Miller gewesen sein) es zwar gut gemeint hatte, aber nicht richtig informiert war.
    Trotz ihrer frischen Witwenschaft war sie allem Anschein nach blendend gelaunt und machte durch den großzügigen Einsatz von schwarzer Spitze und Straußenfedern das Beste aus ihrer Trauerkleidung. Crickmays Ableben sei ein Segen, meinte sie, sosehr sie ihn, Gott hab ihn selig, geliebt habe, und Hugh lasse auf dem Anwesen gerade ein entzückendes kleines Cottage als eine Art Witwensitz für sie vorbereiten. Der Wohltätigkeitsfonds wachse weiter, demnächst würde sie bei Hofe Queen Mary vorgestellt werden. Nachdem wir den Kolleghof durchquert und ich meine Mutter zu ihrem Taxi geleitet hatte, wollte einer der Verwundeten – der mein Vorleben kannte – wissen, ob sie Schauspielerin sei. Als ich verneinte, fragte er: »Ist sie dein Mädchen?« Der Krieg wirkt sich wohl auf jeden anders aus – meine Mutter blüht jedenfalls auf, sie ist sichtlich verjüngt.
    Heute habe ich ein Telegramm von Munro erhalten, der mir sein Mitgefühl ausspricht und zugleich gratuliert. Wir sollen die Glockner-Briefe gemeinsam auswerten, und wenn die Zeit reif sei, wolle er mir diesbezüglich ein Angebot unterbreiten. Ich denke mir, dass Glockners Tod die Suche nach dem Zuträger im Kriegsministerium etwas weniger dringlich macht. Der Verräter muss sich zunächst einmal einen neuen Verbindungsmann suchen, und das dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen.
    Hamo ist gerade gegangen. Er war sehr betroffen, als er mich sah – ich lag im Bett, nachdem man mir wieder einmal die Lunge abgesaugt hatte –, und erkundigte sich eingehend nach meinen Verletzungen. Er wollte genau wissen, was ich empfunden hatte, als ich getroffen wurde. Stellte sich der Schmerz sofort ein oder erst später? Wirkte sich der Schock in irgendeiner Weise betäubend aus? Hielt das Taubheitsgefühl an, solange ich auf dem Schlachtfeld lag? Und so weiter. Ich antwortete ihm so wahrheitsgemäß wie möglich und schwieg mich nur über die Person aus, die mich niedergeschossen hatte sowie über den Schauplatz. »Als ich verwundet wurde, hatte ich die seltsamsten Empfindungen, darum frage ich«, erklärte Hamo. »Ich

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