Eine große Zeit
seinem klaren, forschenden Blick an.
»Was wollen Sie eigentlich tun, Rief?«
»Wie bitte?«
»Wollen Sie zu Ihrem Bataillon zurückkehren? Es ist nach wie vor in Swansea. Dann können Sie Ihren Dienstgrad aber nicht behalten. Oder Sie bitten um eine ehrenhafte Entlassung. Sie haben Ihre Pflicht mehr als erfüllt – das rechnen wir Ihnen hoch an und wir sind Ihnen sehr dankbar.«
Da musste ich nicht lange überlegen. »Ich entscheide mich für die ehrenhafte Entlassung, vielen Dank.« Ich konnte auf keinen Fall zum 2/5. E.S.L.I. zurückkehren. »In ein paar Wochen kann ich hier wohl raus«, fügte ich hinzu.
Munro erstarrte, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.
»Oder würden Sie vielleicht einen letzten Auftrag für uns übernehmen? In London? Was meinen Sie?«
»Ich denke tatsächlich, dass ich meine Pflicht mehr als –«
»Ich habe das als Frage formuliert, Rief, um Ihnen Gelegenheit zu einer positiven Antwort zu geben.« Munro lächelte zwar, doch es war kein herzliches Lächeln. »Sie bleiben Leutnant, bei gleichem Sold.«
»Nun, wenn das so ist – ja. Unter der Bedingung, dass man nicht wieder auf mich schießt.«
In diesem Augenblick traten ein paar Serviermädchen ein, um den langen Tisch unter lautem Tellerklirren und Besteckklappern für das Mittagessen einzudecken.
»Möchten Sie vielleicht einen Happen zu sich nehmen?«, fragte ich Munro.
»Ich möchte auf keinen Fall Spitalfraß zu mir nehmen. Gehen wir in ein Pub?«
Wir nahmen den Hinterausgang zur Walton Street.
»Ich war noch nie in diesem College«, bemerkte Munro. »Obwohl ich bestimmt hundertmal daran vorbeigegangen bin.«
»An welchem College waren Sie?«, fragte ich. Es überraschte mich wirklich nicht im Geringsten, dass er in Oxford studiert hatte.
»Magdalen«, antwortete er. »Am anderen Ende der Stadt.«
»Und dann sind Sie in den diplomatischen Dienst getreten.«
»Stimmt, gleich nach meiner Zeit beim Militär.« Er warf mir einen fragenden Blick zu. »An welchem College waren Sie?«
»Ich habe nicht studiert. Nach der Schule habe ich gleich beim Theater angefangen.«
»Ach, die Universität des Lebens.«
Das Pub hieß The Temeraire, und sein Schild stellte eine grelle Verzerrung von Turners Meisterwerk dar. Es war klein und holzvertäfelt, mit niedrigen Tischen, dreibeinigen Schemeln und Stichen alter Linienschiffe an den Wänden. Munro holte zwei Krüge Bier und bestellte sich eine Kalbsfleisch-Schinken-Pastete mit Kartoffelpüree und eingelegten Zwiebeln. Ich erklärte, ich hätte keinen Hunger.
»Bald steht ein großer Angriff an«, sagte Munro, während er Salz und Pfeffer über Pastete und Püree streute. »Tatsächlich schon in wenigen Tagen. Wir unterstützen einen Vorstoß der Franzosen. Im Loos-Sektor.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Um Himmels willen«, sagte ich mit erhobenen Händen, »ich hatte doch eindringlich davor gewarnt, die Operationen fortzusetzen. Sie werden uns schon erwarten – sehen Sie sich die letzten beiden Glockner-Briefe an. Sie können das Gebiet auf Anhieb selbst eingrenzen.«
»Wenn es nur so einfach wäre. Die Franzosen beharren darauf.« Er deutete ein trauriges Lächeln an, offenbar war er genauso bekümmert wie ich. »Hoffen wir das Beste.«
»Sicher. Hoffen kann man bis zuletzt, kostet ja nichts.«
Munro sah bedrückt drein und machte sich zunächst schweigend über seine Pastete her. Ich zündete mir eine Zigarette an.
»Eins hat unser Zuträger allerdings übersehen«, sagte Munro. »Seltsamerweise. In Loos werden wir Giftgas einsetzen – wir nennen es ›Zubehör‹, wenn davon die Rede ist.«
»Tja, das haben sie mit uns in Ypres schließlich auch gemacht. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.« Ich überlegte, warum er mir das erzählte. Sollte das eine Art Test sein?
»Ich frage mich, warum er das übersehen hat«, fuhr Munro fort. »Vielleicht hilft uns dieser Umstand, ihn dingfest zu machen.« Er trank einen Schluck Bier. »Nehmen Sie sich eine Woche Urlaub, wenn Sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Danach möchte ich Ihnen in London jemanden vorstellen. Wir müssen unsere Vorgehensweise abstimmen.«
»Ich soll also Leutnant bleiben.«
»Genau.« Dann sagte Munro betont beiläufig: »Sie haben mir noch gar nicht erzählt, was der Schlüsseltext war.«
»Ich habe es Massinger und Madame Duchesne mitgeteilt.«
»Ach ja, eine deutsche Bibelausgabe. Aber das war offensichtlich gelogen.«
Man darf nie vergessen, wie gerissen Munro ist, das
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