Eine große Zeit
Automobil so dicht vorbeifuhr, dass sie ärgerlich krächzend zu einer Platane aufflog.
Lysander fielen drei oder vier düstere Deutungen des Symbolgehalts ein, den man dieser Begegnung mit einer Londoner Krähe hätte zuschreiben können, aber die wollte er lieber nicht ergründen. Er schnippte seine Zigarette in die Themse, nahm seinen Aktenkoffer und überquerte das Embankment.
Nachdem er sich am Eingang ausgewiesen hatte, wurde Lysander von einer Ordonnanz in den vierten Stock hinaufgeführt. Durch eine Schwingtür gelangten sie in eine Halle mit zwei Fluren auf jeder Seite. An der Wand waren diverse Abteilungen und kryptische Akronyme aufgelistet, kleine Pfeile wiesen den Weg in die entsprechenden Flure – LKMA, Hafen & Transport, Eisenbahn- und Straßenbau, ZL (Kriegsministerium), Artillerie (Frankreich), Lebensmittelüberwachung (Dover), KEG (Mesopotamien), LRO (II) und dergleichen mehr. Lysander folgte der Ordonnanz nach rechts und lief einen breiten Gang mit Linoleumbelag entlang, von dem unzählige Türen abgingen. Das Klappern der Schreibmaschinen und das Klingeln der Telefone verfolgten sie bis zur Tür mit dem Schild »Leiter der Verschickungsabteilung«. Die Ordonnanz klopfte, und Lysander durfte eintreten.
Der Abteilungsleiter, Oberstleutnant ehrenhalber Osborne-Way (Worcester Regiment) war nicht im Mindesten erfreut, ihn zu sehen, wie Lysander binnen Sekunden erkannte. Sein Verhalten war äußerst schroff und kühl. Osborne-Way bot ihm keinen Stuhl an, er gab ihm nicht die Hand und machte auch sonst keine Anstalten, seinen Gruß zu erwidern. Lysander überreichte ihm den magischen Passierschein, der ihm den Weg ins Allerheiligste dieser Abteilung ebnen sollte – ein Blatt Papier mit Briefkopf und Unterschrift des Chefs des Imperialen Generalstabes höchstselbst, Generalleutnant Sir James Murray, KCB, auf dem stand, dass »der unten genannte Offizier, Leutnant L.U. Rief, jede erdenkliche Unterstützung und Zugang zu allen Unterlagen erhalten soll. Er ist mir direkt unterstellt.«
Osborne-Way las das Sendschreiben mehrmals, als könnte er nicht fassen, was da schwarz auf weiß stand. Er war ein kleiner Mann mit grauem Bürstenschnurrbart und dicken Tränensäcken. Auf seinem Schreibtisch standen sieben Telefone in einer Reihe, und in einer Büroecke war ein Feldbett samt Decke aufgestellt.
»Ich verstehe das nicht«, sagte er schließlich. »Was hat das überhaupt mit dem C.I.G.S. zu tun? Warum schickt er Sie? Weiß er nicht, wie überlastet wir sind?«
Wie zur Bestätigung klingelten zwei seiner Telefone gleichzeitig. Er hob beim ersten den Hörer ab und sagte: »Ja. Ja … Noch mal … ja. Jawohl.« Dann nahm er den zweiten Anruf entgegen, hörte kurz zu, sagte »nein« und legte auf.
»Ich wurde nicht gefragt, Sir«, sagte Lysander versöhnlich. Dabei verfiel er in einen etwas näselnden, schleppenden Ton, der ihn leicht blasiert und flegelhaft wirken ließ. Ihm war bewusst, dass dieser Tonfall Osborne-Way noch mehr gegen ihn aufbringen würde, aber das war ihm egal – das hier war kein Beliebtheitswettbewerb. »Ich befolge lediglich Befehle. Für die Nachbereitung der Ergebnisse, die Sir Horace Edes Transportkommission erarbeitet hat, müssen noch ein paar Fragen geklärt werden. Und zwar recht bald, angesichts der bevorstehenden internationalen Konferenz.«
»Und wie können wir Ihnen in dieser Angelegenheit dienen?«, fragte Osborne-Way und gab Lysander das Schreiben zurück, als würde er sich sonst die Finger daran verbrennen.
»Ich hätte gern eine Liste sämtlicher Mitarbeiter dieser Abteilung, aus der die Aufgabenverteilung ersichtlich wird. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie alle Betroffenen davon unterrichten könnten, dass ich hier zu tun habe. Jeder Mitarbeiter soll von mir befragt werden. Je früher ich meine Arbeit beenden kann, desto früher sind Sie mich los.« Lysander lächelte. »Sir.«
»Gut.«
»Soviel ich weiß, wird mir hier ein Büro zugeteilt.«
Osborne-Way nahm einen der Telefonhörer ab und brüllte »Tremlett!« in die Sprechmuschel.
Sofort erschien ein Obergefreiter in der Tür. Er trug eine schwarze Augenklappe.
»Tremlett, das ist Leutnant Rief. Führen Sie ihn ins Zimmer 205.« Dann sagte Osborne-Way, an Lysander gerichtet: »Tremlett wird Ihnen alle Akten und anderen Unterlagen holen, die Sie benötigen, sowie jede Person, die Sie befragen möchten, außerdem wird er Sie mit Tee und Keksen versorgen. Guten Tag.« Er zog eine
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