Eine große Zeit
unabhängiger, wenn überhaupt?
»Wir müssen Rief irgendwie ins Kriegsministerium schleusen«, sagte Munro. »Sein größter Trumpf ist, dass ihn niemand kennt – anders als uns. Ein Neuling – ein Außenstehender.«
Der Kapitän trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. »Wie das? Er ist bloß einfacher Leutnant. Im Kriegsministerium sitzen aber nur hohe Tiere.«
»Wir setzen eine Untersuchungskommission ein«, antwortete Munro. »Zu einem gähnend langweiligen Thema. So können wir Rief ins Ministerium schicken, mit der Befugnis, Fragen zu stellen und Unterlagen zu prüfen.«
»Sir Horace Ede hat letztes Jahr eine Transportkommission geleitet«, sagte der Kapitän. »Daraus könnten sich jetzt weitere Fragen ergeben – «
»Genau. Fragen, denen Leutnant Rief nun nachgehen muss.«
»Und da bald eine internationale Konferenz ansteht, ist auch klar, warum wir dafür sorgen wollen, dass es nichts zu beanstanden gibt.«
»Klingt überzeugend.«
Massinger fühlte sich zunehmend unwohl, weil man ihn derart überging und er nichts beizutragen hatte. Er räusperte sich so laut, dass um ihn herum alle verstummten und ihn ansahen. Er hob beschwichtigend die Hände. Dann zog er ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.
»Bis wann könnten Sie das in die Wege leiten, Sir?«, fragte Munro.
»Geben Sie mir ein paar Tage«, antwortete der Kapitän. »Je höher die Instanz, die Rief eine Vollmacht ausstellt, desto leichter wird es vor Ort für ihn werden.« Er wandte sich Lysander zu. »Halten Sie sich bereit, Rief.«
Massinger ergriff schließlich das Wort: »Meinen Sie nicht, dass wir damit dem MI5 auf die Füße treten, Sir?«
»Dieses ganze Desaster hat doch in Genf angefangen«, entgegnete der Kapitän eine Spur ungehalten. »Es war Ihre Angelegenheit – also ist es auch unsere. Ich regele das mit Kell. Er kann ohnehin keine Leute erübrigen.«
Lysander hatte nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprachen. Er zupfte an einem losen Nagelhäutchen an seinem Zeigefinger.
»Gut, lassen Sie mich nur machen«, sagte der Kapitän. »Wir sollten unserem schwarzen Schaf allerdings einen Decknamen geben, wenn wir uns darüber unterhalten wollen.«
»Schwebt Ihnen etwas Bestimmtes vor?«, fragte Munro.
Lysander überlegte schnell. »Wie wäre es mit Andromeda?«, sagte er, ohne Munro aus den Augen zu lassen. Munro zuckte nicht einmal mit der Wimper.
»Von mir aus Andromeda – Hauptsache, wir finden ihn, bald«, bemerkte der Kapitän und erhob sich. Die Besprechung war beendet. Er ging auf Lysander zu und gab ihm die Hand. »Ich habe Ihren Vater Macbeth spielen sehen. Hat mir eine Heidenangst eingejagt. Viel Glück, Rief. Oder sollte ich sagen: Willkommen an Bord?«
3. Das Nebengebäude am Embankment
Als Munro ihn verabschiedete, riet er ihm, sich ein paar schöne Tage zu machen, bevor man ihn zum Einsatz rief. Sobald alles vorbereitet war, würde man ihn instruieren und ihm genaue Anweisungen erteilen. Und so kehrte Lysander zum White Palace Hotel in Pimlico zurück und versuchte, sich so gut wie möglich zu beschäftigen und abzulenken, trotz des wachsenden Unbehagens, das er unterschwellig verspürte. Wer war dieser allmächtige Kapitän? Welche Rolle spielte er, wie viel Einfluss hatte er? Inwieweit konnte Lysander, wenn überhaupt, sich auf Munro und Massinger verlassen? Durfte er dem einen oder dem anderen trauen? Und warum hatte man wieder einmal ihn dazu auserkoren, seine Pflicht als Soldat zu erfüllen? Vielleicht würde er in den nächsten Tagen ja ein paar Antworten auf diese Fragen bekommen, die ihm momentan keine Ruhe ließen.
Er suchte seinen Schneider auf, um die Uniformjacke mit einer kleinen Knöpfvorrichtung für seine Verwundetenauszeichnung – ein Messingstäbchen, das senkrecht am linken Ärmel getragen wurde – versehen zu lassen. Jobling war sichtlich bewegt, als Lysander ihm von seiner Verwundung erzählte. Drei seiner Zuschneider hatten sich freiwillig gemeldet, zwei von ihnen waren bereits gefallen. »Gehen Sie nicht wieder an die Front, Mr Rief, Sie haben Ihr Blutsoll schon erfüllt«, sagte er. Jobling machte ihm die Uniformjacke außerdem enger – Lysander hatte während seiner Rekonvaleszenz an Gewicht verloren.
Er ging ins Comedy Theatre, um Blanche in Stunde der Gefahr zu sehen. Als er sie anschließend in ihrer Garderobe besuchte, durfte er sie nicht auf den Mund küssen. Seine Einladung zum Essen schlug sie mit der Begründung aus, dass es in ihrem Leben
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