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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Duell auszutragen. Als er die Treppe hinunterging, fielen ihm die Schilder in den anderen Stockwerken auf:
     
    STRASSEN- UND SCHIENENVERKEHR
    BINNENGEWÄSSERTRANSPORT (FRANKREICH)
    GENERALINSPEKTEUR (ALLE GEBIETE)
    IRISCHE EISENBAHN
    Ziemlich erschlagen trat er auf das Embankment hinaus und atmete die dreckige Londoner Luft in tiefen Zügen ein. Er streckte sich, dehnte die Schultermuskeln, drehte den Kopf hin und her, um den Nacken zu entspannen. Angesichts der überwältigenden Größe der Aufgabe, die man ihm übertragen hatte, wäre er vor Mutlosigkeit fast in Tränen ausgebrochen. Wer zum Teufel war Andromeda? Und was würde passieren, wenn er den Mann erst gefunden hätte?

4. Ein bisschen Mut
    »Weißt du, was merkwürdig ist?«, sagte Hamo laut, um den Motor zu übertönen. »Normalerweise bin ich nie nervös, aber heute schon.«
    Es war Sonntagvormittag, und sie fuhren im Turner-Zweisitzer Richtung Romney, um an Bonham Johnsons festlichem Mittagessen teilzunehmen.
    »Das kenne ich.« Lysander beugte sich zu ihm und hielt sich die Hand trichterförmig um den Mund. »Als ich mich vor ein paar Tagen im Kriegsministerium vorstellen musste, ging es mir genauso. Wie am ersten Schultag.« Am Straßenrand blitzte ein Wegweiser auf: Fairfield, zwei Meilen. »Lass uns doch einen Zwischenstopp in einem Pub oder Hotel einlegen. Dann trinken wir uns ein bisschen Mut an.«
    »Wunderbare Idee«, sagte Hamo. Er trug eine umgestülpte, enganliegende Lederkappe und eine Fahrerbrille. Das Verdeck hatten sie heruntergeklappt, weil das Wetter so schön, wenn auch leicht windig war. Sie steckten beide in Wintermänteln, und Lysander hatte seinen Trilby mit einem Schal am Kopf festgebunden.
    In Fairfield entdeckten sie ein kleines Pub, wo sie Whisky Soda bestellten.
    »Ich habe einfach schreckliche Angst, dass mich einer dieser Literaten auf Shakespeare oder Milton anspricht«, sagte Hamo.
    »Das wird keiner tun. Sie wollen doch dich kennenlernen. Du hast den Verlorenen See geschrieben. Darauf werden sie dich ansprechen – nicht auf Keats oder Wordsworth.«
    »Ich wünschte, ich wäre so zuversichtlich wie du, mein Junge.«
    »Hamo, du wurdest mit dem Victoriakreuz ausgezeichnet, verdammt. Und die sind bloß ein Haufen nichtsnutziger Schreiberlinge.«
    »Aber … «
    »Kein Aber. Mach’s so wie ich. Wenn es mir an Selbstsicherheit fehlt, täusche ich sie vor.«
    »Ich will es versuchen. Dein Vater hätte mir denselben Rat erteilt. Weißt du was? Ein zweiter Whisky könnte mir dabei helfen.«
    »Nur zu. Mir auch.«
    Lysander blickte seinem Onkel hinterher, als er zum Tresen ging, und fühlte eine große Zuneigung. Er wirkte so schlank und aufrecht in seinem dunkelgrauen Anzug. Das Deckenlicht brach sich an seinem kahlen Schädel und versah ihn gleichsam mit einem Halo. Hamos Halo. Eine nette Vorstellung.
    Das Haus von Bonham Johnson – Pondshill Place – war groß und eindrucksvoll, ein viktorianisches Gehöft aus rotem Backstein mit Terrakotta-Ornamenten und hohen Schornsteinen. An einer Seite befand sich ein breites Erkerfenster mit Blick auf den Terrassengarten, der sanft zu einem Spiegelteich hin abfiel. Der Teich war von gestutzten Buchsbaumobelisken umgeben. Auf der anderen Seite befand sich der Scheunen- und Stallkomplex, wo die Gäste ihre Wagen abstellen sollten. Ein Knecht winkte sie in den Hof, in dem bereits ein Dutzend Automobile in zwei ordentlichen Reihen parkten.
    »Sehr gut«, sagte Hamo. »Wir sind bei weitem nicht die einzigen Gäste. Ich kann mich in der Menge verstecken.«
    Ein Butler öffnete ihnen die Tür und forderte sie auf, zum »Saloon« durchzugehen. Damit war das Wohnzimmer mit dem großen, geschwungenen Erkerfenster gemeint, in dem sich bereits an die zwanzig Menschen tummelten – alle sehr leger gekleidet, wie Lysander feststellte, froh, dass er einen Anzug aus leichtem Harris-Tweed gewählt hatte. Ihm fielen einige krawattenlose Männer und Frauen in grellbunt gemusterten Kleidern auf. Er flüsterte Hamo »Entspann dich!« zu, und sie nahmen sich beide ein Glas Sherry vom Tablett, das ihnen ein in Lysanders Augen auffallend hübsches Dienstmädchen reichte.
    Bonham Johnson entpuppte sich als wohlbeleibter Mann mit länglichen, schütteren Haaren und einem grauen Spitzbart, der ihm einen leicht jakobinischen Anstrich verlieh. Nachdem er sich seinen Gästen vorgestellt hatte, ließ er eine wortreiche Lobeshymne auf Afrikas verlorenen See vom Stapel – »herausragend, einzigartig«. Selbst der

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