Eine große Zeit
wohnten sie in Cornwall in einem Cottage, das Bonham Johnson gehörte. Lasry wurde Hettie zufolge von Johnson großzügig protegiert, der ihn allen möglichen Verlegern und Lektoren vorgestellt hatte und ihm bei Bedarf auch kleinere Summen vorstreckte. Lysander warf einen Blick auf Lasry, der ihm schräg gegenüber saß – ein hagerer Mann von leidenschaftlichem Ernst, der offenbar mit der gleichen konzentrierten Hingabe aß, mit der er sprach. Lysander vermutete, dass Bonham Johnson für seinen Schützling mehr als bloße Freundschaft empfand.
»Ich habe Jago erzählt, dass du und ich uns in Wien gelegentlich über den Weg gelaufen sind«, sagte Hettie. »Weil wir bei demselben Arzt in Behandlung waren. Nur für den Fall, dass er misstrauisch wird.«
»Weißt du eigentlich, dass Bensimon wieder in London ist? Er hat mir geschrieben.«
Hettie sah ihn auf diese befremdliche Art an, die nur ihr eigen war. Eine merkwürdige Mischung aus jäh erwachtem Interesse und unterschwelliger Aggression.
»Ist ja wie in guten alten Tagen.«
»Wie meinst du das?«
Sie wandte sich ab und bat ihren anderen Sitznachbarn, ihr das Salz zu reichen. Lysander spürte ihre Hand, die unter dem Tisch seinen Oberschenkel berührte und sich rasch zur Wölbung in seiner Hose vortastete. Sie packte seinen Penis unter dem Stoff fest an und streichelte ihn mit den Fingerspitzen. Lysander griff nach seinem Weinglas, um eine Art Halt zu finden – er befürchtete, in Ohnmacht zu fallen oder laut aufzuschreien. Sie ließ ihn wieder los.
»Ich muss dich sehen«, sagte er leise, ein wenig heiser, die Augen auf seinen Teller gerichtet, um ihren Blick zu meiden. Dabei schnitt er das Lammfleisch in winzige Stücke. »Ich wohne in London. In einem kleinen Hotel namens The White Palace. Sie haben Telefon.«
»Ich weiß nicht, ob ich so einfach nach London fahren kann. Aber ich will es versuchen.«
»Schick mir eine Postkarte. The White Palace Hotel, Pimlico, Südwest-London.«
Nun sahen sie sich beide an, und als er in diese etwas zu großen, durchscheinend hellen braungrünen Augen starrte, wurde ihm klar, dass diese Wiederbegegnung für ihn einen Wendepunkt darstellte. Er hatte das Gefühl, ganz bei sich zu sein, genau zu wissen, wer er war, was er brauchte, was er vom Leben wollte …
»Ich tue mein Bestes, versprochen«, sagte sie. »Könntest du mir vielleicht ein bisschen Geld borgen?«
»Erstaunlich netter Mensch, dieser Bonham Johnson«, bemerkte Hamo. »Dank ihm habe ich mich auf Anhieb wohl gefühlt. Weiß gar nicht, warum ich mich im Vorfeld so geziert habe. Ich konnte gleich sehen, dass er verzaubert ist.«
»Verzaubert?«
»Einer von uns.«
»Ach so.«
»Wofür hast du eigentlich diese zehn Pfund gebraucht?«, fragte Hamo, während er sich bückte, um den Turner anzukurbeln. »Ein Glück, dass ich so viel Bares dabeihatte.«
»Ich musste sie dieser Frau leihen, die ich dir vorgestellt habe. Venora Lasry.«
»Das nenne ich großzügig.« Hamo stieg in das nun sanft bebende Vehikel. »Einer Unbekannten so viel Geld zu überlassen.«
»Das war diejenige, welche, Hamo«, vertraute Lysander ihm erleichtert an. »Das war Hettie Bull – die Mutter meines Sohnes.«
»Großer Gott!«
Sie fuhren vom Hof und dann über die flache, ausgedehnte Marschlandschaft auf die Hauptstraße nach Rye. Lysander beugte sich vor, um Hamo eine kurze Schilderung der Ereignisse ins Ohr zu brüllen. Kopfschüttelnd bekundete ihm Hamo seine Verwirrung und Anteilnahme.
»Was soll ich dazu sagen, mein lieber Junge. Ich werfe dir nichts vor. Ich weiß genau, was in dir vorgeht. Le cœur a ses raisons . So ist es nun mal!«
Während sie bei gleichbleibender Geschwindigkeit dahinrollten, schwand allmählich das Licht, und als sie sich der Küste näherten, erhaschten sie immer wieder einen Blick auf den Ärmelkanal. Die untergehende Sonne ließ das Meer schimmern wie gehämmertes Silber. Lysander war so euphorisch wie bang zumute. Die jüngste Begegnung mit Hettie hatte ihm wieder einmal bewusst gemacht, dass er unbestreitbar von ihr besessen war. War das nun wirklich Besessenheit – oder Liebe? Oder etwas Abgründigeres – reine Gier, eine Art Sucht?
Hamo und er saßen noch lange zusammen, unterhielten sich und tranken Whisky. Lysander nutzte die Gelegenheit, um Hetties Geschichte ausführlicher zu erzählen.
»Wirst du sie wiedersehen?«, fragte Hamo.
»Ja. Es muss sein.«
»Ob das so klug ist? Inzwischen ist sie doch verheiratet?«
»Es ist alles
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