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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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– Zugfahrkarten, Hotelübernachtungen, Taxifahrten, Gepäckträger, Mahlzeiten und Getränke – wurden registriert, kopiert und abgeheftet. Lysander beschloss, Keogh als Ersten zu durchleuchten, danach Vandenbrook und als Letzten Osborne-Way. Das höchste Tier zum Schluss.
    Als Lysander Keogh aus dem Gebäude treten sah, folgte er ihm zum Charing Cross, aus sicherer Entfernung, obwohl er kaum Gefahr lief, erkannt zu werden. Lysander trug einen falschen Schnurrbart, einen Bowlerhut und eine Aktentasche. Er hatte einen alten dunklen Anzug herausgesucht und die Ärmel so justiert, dass seine ausgefransten Pappmanschetten hervorlugten, er hoffte, auf diese Weise genauso auszusehen wie die tausend kleinen Beamten, die am Ende des Werktages aus den großen Staatsministerien in Whitehall strömten und die Heimfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln antraten – mit Bus und Zug, Tram und Untergrundbahn. An der Charing Cross Station stieg er hinter Keogh in die U-Bahn ein und nahm am anderen Ende des Wagens Platz. Sie fuhren mit der District Line über die Themse nach East Putney. Dort beobachtete Lysander, wie Keogh die Upper Richmond Road hinaufstapfte und dann in eine Straße mit Doppelhäusern aus Backstein einbog. Keogh betrat die Nummer 26. Lysander konnte leises Hundebellen hören, dem schnell Einhalt geboten wurde. Ihm fiel auf, dass sämtliche Rollläden heruntergelassen waren. Dabei war es immer noch hell – vielleicht handelte es sich um einen der wenigen Londoner Haushalte, die eine ordentliche Verdunkelung zum Schutz vor den Zeppelin-Luftangriffen einhielten, auch wenn das bei nachlässigen Nachbarn nicht viel nützte. Ein familiärer Todesfall?
    Lysander sah auf der anderen Seite eine Frau mit Kinderwagen, rasch überquerte er die Straße und holte sie ein. Mit leichtem Cockney-Einschlag fragte er sie, in welchem Haus Mr und Mrs Keogh wohnten.
    »Hab wohl an die falsche Tür geklopft, Missus.«
    »Bei der Nummer 26 sind Sie goldrichtig. Fragen Sie aber bloß nicht nach Mrs Keogh«, sagte die Frau.
    »Warum nicht?«
    »Weil sie vor zwei Monaten gestorben ist. Diphtherie. Ein furchtbares Unglück. Jammerschade um die junge Frau. Sie war so nett. Und so schön.«
    Lysander bedankte sich und ging. Keogh war also erst kürzlich verwitwet – das erklärte seinen leeren, stumpfen Blick. Aber war er damit entlastet? Oder konnte der sinnlose Tod einer schönen jungen Frau zu blinder Zerstörungswut führen? Er würde sich noch etwas eingehender mit Major Keogh befassen. Doch zuvor wollte er sich Hauptmann Christian Vandenbrook widmen.
    Vandenbrook war so wohlhabend, dass er sich stets nach Hause chauffieren ließ. Am späten Nachmittag lauerte Lysander ihm vom Rücksitz eines Taxis aus auf. Er wartete, bis Vandenbrook seinerseits ein Taxi anhielt, und folgte ihm zu seinem Club in St. James. Zwei Stunden später trat Vandenbrook wieder heraus, winkte das nächste Taxi herbei und wurde nach Knightsbridge gefahren, zu einem großen weißen Haus mit Stuckfassade, das sich in einem eleganten Bogen von der Brompton Road absetzte. Eine auffallend gute Adresse für einen Hauptmann des King’s Royal Rifle Corps.
    Lysander schickte sein Taxi weg und schritt die Straße mit den mondsichelförmig angeordneten, stattlichen Häusern ab. Ein Blick durch eines der Fenster zeigte ihm, wie Vandenbrook ein Whiskyglas aus geschliffenem Kristall vom Silbertablett nahm, das ihm ein Butler reichte. Personal konnte er sich also auch leisten. Zwanzig Minuten später fuhr ein anderes Taxi vor, dem ein Paar in Abendkleidung entstieg. Lysander kehrte in sein kleines Hotel in Pimlico zurück, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass ein Mann, der so offenkundig privilegiert war wie Vandenbrook, keinen Grund hatte, Landesverrat zu begehen. Nun würde er sich Osborne-Way vorknöpfen.
    Im Hotel erwartete ihn eine Postkarte aus St. Austell, Cornwall, mit der Nachricht: »Komme Freitagabend an. Habe ein Zimmer im White Palace, Pimlico, gebucht. Venora.«
    Tremlett brachte ihm erneut den Ordner mit den »Reisegenehmigungen zu Land« und blieb in Erwartung weiterer Befehle neben dem Schreibtisch stehen, während Lysander den Ordner durchblätterte.
    »Für Oberstleutnant Osborne-Way liegen keine Reisekostenabrechnungen vor?«
    »Nein, Sir. Seine schickt er direkt dem Kriegsministerium. Er gehörte dem Generalstab an, bevor er zeitweilig hierher versetzt wurde.«
    »Seltsam. Können wir sie dort anfordern?«
    Tremlett schnalzte mit der

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