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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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die pro Tag 18 Pennies erhielten, dafür, dass sie in den Schützengräben eine ganz besondere Art von Plackerei auf sich nahmen. Er musste aber beweglich bleiben – er ahnte, dass Vandenbrook nicht in Folkestone übernachten würde.
    Er forderte den Fahrer auf, ein kleines Stück oberhalb der Zweigstelle an der Marine Parade zu parken, und wartete dann ab. Wie sich herausstellte, musste er lange warten, denn Vandenbrook verließ das Gebäude erst um 19 Uhr. Er wurde von einem Wagen abgeholt, der ihn stadtauswärts Richtung Westen fuhr, über die Küstenhauptstraße nach Hythe. Dort wurde Vandenbrook vor dem Eingang des Dene Hotels abgesetzt – ein gepflegtes, zweistöckiges Backsteinhaus mit Garage und modernem Anbau an der Rückseite, direkt an der Hauptstraße gelegen, am Fuß des Hügels, der zu St. Leonard führte, Hythes bedeutendster Kirche. Der Wagen fuhr weg, vermutlich zurück nach Folkestone. Lysander ließ fünf Minuten verstreichen, bevor er Vandenbrook ins Hotel folgte.
    Die Lobby war mit einer niedrigen Balkendecke und Türen versehen, die zu einer eleganten Bar und einem Speisezimmer führten. Eine schöne Eichentreppe schwang sich zu den Gästezimmern im ersten Stock empor. Bestimmt weitaus komfortabler als das Commercial Hotel in Folkestone, wo die auswärtigen Mitarbeiter normalerweise abstiegen. An der Rezeption stand eine Vase mit frischen Blumen, neben dem Speisezimmer hing eine Karte, die Lysander in Augenschein nahm. Eine einfache, aber klassische Auswahl englischer Gerichte – Braten, Lammrücken, pikante Hammelnierchen, Seezunge. Plötzlich bekam er Hunger. Kein Wunder, dass Vandenbrook sich seine Unterkunft lieber selbst aussuchte.
    Lysander ging in die Bar und setzte sich so, dass er die Lobby durch die Glastür im Auge behalten konnte. Er bestellte einen Whisky Soda und begann zu warten. Wenn Vandenbrook zum Abendessen herunterkam, würde er sich zu erkennen geben, sie würden beide herzhaft lachen, und er könnte wenigstens eine ordentliche Mahlzeit zu sich nehmen, bevor er in den letzten Zug nach London sprang.
    Er nippte an seinem Whisky und zündete sich eine Zigarette an. Dabei kehrte er in Gedanken unweigerlich zu Hettie zurück. Sie könne nur über Nacht bleiben, hatte sie erklärt, weil sie am nächsten Tag Lasry in Brighton treffen sollte, wo sie sich nach einer neuen Bleibe umsehen wollten – im fernen Cornwall wurde es ihnen allmählich langweilig, und Bonham Johnson drängte sie, in die Nähe von London zu ziehen. Hettie hatte Lysander versprochen, wiederzukommen und länger zu bleiben, sobald ihr eine Ausrede einfiel, die ihren misstrauischen Gatten zufriedenstellen würde. Lysander dachte daran, ein kleines Apartment in einem zentral gelegenen Wohnhaus zu mieten, wo sie ungestört zusammen sein könnten. Er war des Hotellebens ohnehin überdrüssig, und es war nicht abzusehen, wie lange er noch in der Verschickungsabteilung auf der Suche nach Andromeda ausharren musste. Die Aussicht, Osborne-Way auf Herz und Nieren zu prüfen, erfüllte ihn nicht gerade mit Freude. Er würde höllisch aufpassen müssen, um sich nicht zu –
    Seine Mutter hatte soeben das Hotel betreten.
    Lysanders erster Impuls war, in die Lobby zu stürzen und sie zu überraschen, doch irgendetwas brachte ihn dazu, stattdessen tiefer in seinen Sessel zu rutschen. Sie trug einen Pelzmantel und einen dieser neumodischen kleinen Hüte. Nachdem sie kurz mit dem Rezeptionisten gesprochen hatte, wurde ein Page gerufen. Gepäck? Würde sie etwa über Nacht bleiben? Der Oberkellner trat in die Lobby und begrüßte sie unterwürfig. Also war sie nicht zum ersten Mal hier … Sie verschwand im Speisezimmer.
    Wie gern hätte Lysander das als einen der vielen Zufälle abgetan, die das Leben ausmachen. Zufälle ereigneten sich am laufenden Band, oft waren sie so erstaunlich, dass sie selbst den absurdesten Schwank in den Schatten stellten. Doch das hier fiel in eine andere Kategorie – Lysander konnte förmlich spüren, dass die Umlaufbahnen von Vandenbrook, Rief und Anna, Lady Faulkner, sich nicht zufällig kreuzten. Da sah er Vandenbrook die Treppe hinabkommen, mit einer Zigarette in der Hand, und in das Speisezimmer gehen. Lysander wusste auf Anhieb, dass der Hauptmann sich zu seiner Mutter setzen würde, dass dieses Treffen geplant war, doch bevor er dafür den »Augenbeweis« suchte, wollte er noch ein paar Minuten warten. Er verließ die Bar und gab vor, den Stadtplan von Hythe zu studieren, der

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