Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
Vom Netzwerk:
praktischerweise rechts neben dem Speisezimmer ausgehängt war. Die Tür stand halb offen, so dass er hineinspähen konnte. Er sah einen Kamin und ein Dutzend Tische, von denen die Hälfte besetzt war. Und er sah seine Mutte in der Ecke sitzen, gerade wurde ihr vom Sommelier ein Glas Wein serviert. Ihr gegenüber saß tatsächlich Christian Vandenbrook. Die beiden prosteten einander zu, offenbar kannten sie sich gut. Während sie plauderten und die Speisekarte konsultierten, erkannte Lysander, dass sie all die abgenutzten Finten und konventionellen Masken und lächerlichen Tricks einsetzten, mit denen ein heimliches Liebespaar die Öffentlichkeit zu täuschen versucht.

8. Des Oberstleutnants Daimler
    »Ich brauche einen Wagen, Tremlett«, sagte Lysander. »Ich muss die ganze Südostküste abfahren. Gibt es abteilungseigene Fahrzeuge?«
    »Da wäre das Automobil von Oberstleutnant Osborne-Way, Sir. Ein Daimler. Steht oft wochenlang in der Garage herum.«
    »Genau das Richtige.«
    »Dafür müssen wir aber sicher Ihren magischen Schein vorweisen, Sir.«
    Das Auto war ein großer Siebensitzer, schwarz und weinrot, Baujahr1914 , den der Direktor einer Leipziger Chemiefabrik bei den Daimler-Werken in Coventry bestellt und auch gleich bezahlt hatte. Bevor der Daimler nach Deutschland verschifft werden konnte, wurde er bei Kriegsausbruch von den Behörden beschlagnahmt. Wieso Osborne-Way ihn als Dienstwagen nutzen durfte, war allerdings ein Rätsel. Lysander kam er wie gerufen, und Tremlett bot sich sofort voller Begeisterung als Chauffeur an. Mit Kopien aller relevanten Reiseanträge und Abrechnungen ausgerüstet, brachen sie – wobei Lysander sich wie ein Grandseigneur auf der mit senfgelbem Ziegenleder bezogenen Rückbank niederließ – am nächsten Tag zu einer Tour sämtlicher Hotels an den Küsten von Kent und Sussex auf, in denen Christian Vandenbrook abzusteigen beliebte.
    Eine Übernachtung in Ramsgate erwies sich als Niete, aber Sandwich, Deal und Hythe passten alle in das Muster. Lauter kleine, ziemlich teure Hotels, die von renommierten Reiseführern wärmstens empfohlen wurden. Die Einträge in den Gästebüchern zeigten, dass es zu jeder Reservierung von Hauptmann Vandenbrook eine entsprechende Reservierung von Lady Faulkner gab. Das galt jedoch nicht für Rye und Hastings – vielleicht aufgrund der allzu großen Nähe zu Claverleigh, mutmaßte Lysander. Insgesamt hatten sie im Zeitraum von September 1914 bis zu jenem jüngsten Treffen im Oktober neun Nächte unter demselben Hoteldach verbracht. Lysander nahm an, dass sie sich auch in London getroffen hatten – seine Mutter fuhr zwei-, dreimal im Monat hin – , aber Vandenbrook konnte natürlich keine Belege über Londoner Hotelkosten bei der Buchhaltung einreichen.
    Eine Affäre also, die bereits länger als ein Jahr währte, und als sie begonnen hatte, war Crickmay Faulkner noch am Leben gewesen, überlegte Lysander. Ihm war unwohl bei der Vorstellung, dass seine Mutter eine körperliche Beziehung zu Vandenbrook unterhielt, das machte sie für ihn zu einer Fremden, als hätte sie nichts mehr mit der Frau zu tun, die er kannte und liebte. Sicher, sie war nicht alt, dachte er, das Leben hielt für sie noch andere Rollen bereit als die der Mutter, seiner Mutter. Sie war eine außerordentlich attraktive reife Frau, gebildet, lebhaft, selbstbewusst. Und Vandenbrook – weltmännisch, charmant, gutaussehend, amüsant, wohlhabend – war genau die Art Mann, die ihr gefallen dürfte. Das konnte er nachvollziehen. Er wollte sie deswegen nicht verurteilen.
    In Hastings, im Pelham Hotel, dem letzten auf ihrer Route, hatte sich das Personal besonders beflissen gezeigt. Vandenbrook hatte dort viermal übernachtet und offenbar gutes Trinkgeld gegeben. Die junge Rezeptionistin fragte besorgt nach.
    »Hoffentlich war alles zu Captain Vandenbrooks Zufriedenheit. Es täte uns furchtbar leid, wenn er etwas zu beanstanden hätte.«
    »Das ist nicht der Fall. Ich führe lediglich eine Routinebefragung durch.«
    »Gibt es ein Problem, Sir?«
    »Nun ja … « Lysander musste improvisieren. »Unterwegs ist etwas verlorengegangen … Wir rekonstruieren nur die einzelnen Schritte des Hauptmanns über die letzten Wochen und Monate.«
    »Arbeiten Sie mit ihm zusammen?«, fragte die Rezeptionistin. Sie war jung, achtzehn oder neunzehn, und hatte sich die Haare so frisiert, dass sie ihr merkwürdig tief in die Stirn hingen, nicht gerade vorteilhaft, wie Lysander fand, das ließ sie

Weitere Kostenlose Bücher