Eine große Zeit
die Schauspielerinnen. Ständig fragte er: Kennen Sie Ellen Terry? Haben Sie jemals Dolly Baird getroffen? Wie ist Mrs Mabel Troubridge in Wirklichkeit? Ab und zu ließ er jedoch eine Bemerkung fallen, die von größeren intellektuellen Kapazitäten zeugte, so dass Lysander allmählich zu dem Schluss kam, seine plumpvertrauliche Naivität sei nur aufgesetzt.
Nach einer Woche im Gartenhaus am Ende des Grundstücks hatte er sich eingewöhnt, der alltägliche Ablauf war geregelt und er führte ein beinah normales Leben. Lysander fasste sich ein Herz und fragte Munro, ob sich nicht doch ein Treffen mit Hettie arrangieren ließe.
»Wohl keine so gute Idee«, sagte Munro.
»Wenn ich Gelegenheit hätte, mit ihr zu sprechen – und sei es nur für ein paar Minuten – , würde sich bestimmt alles klären.«
Sie spazierten gerade über die moosigen Parterrewege, die um das kleine Zementbecken des trockenen Springbrunnens in der Mitte führten. Auf einem Haufen eingestürzter, rissiger Blöcke erhob sich ein flechtenüberzogenes Steinengelchen, das einen Fisch mit weit aufgerissenem Maul in die Höhe hielt.DerFisch schien eher nach Luft schnappen als Wasser in einen Brunnen führen zu wollen, der nie wieder sprudeln würde.
»Schauen Sie«, sagte Lysander und deutete auf eine kleine, blasig gestrichene Tür an der hinteren Gartenmauer. »Sie könnten Miss Bull hier doch unbemerkt hineinschmuggeln. Geben Sie mir nur eine Minute mit ihr unter vier Augen – dann wird sie die Anzeige zurückziehen.«
Nachdenklich strich Munro seinen adretten Schnurrbart glatt.
»Mal sehen, was ich tun kann.«
22. Autobiographische Untersuchungen
Hettie. Dieser blanke Wahnsinn – wie konntest du mir das antun? Halt. Erst die Fakten, das Zwiegespräch. Gestern Abend ist sie gekommen, kurz vor elf. Jack Fyfe-Miller hat sie durch die hintere Gartentür zu mir geführt und dann im Wagen gewartet, während wir miteinander sprachen. Sie ist zwanzig Minuten geblieben.
Zunächst haben wir uns geküsst, wie ein altes und geübtes Liebespaar, voller Leidenschaft, als wäre nichts von alldem vorgefallen. Sie hat sich an mich geklammert, beteuert, wie sehr ich ihr fehle, und gefragt, wie es mir gehe. Das kam mir einfach grotesk vor – als hätte sie mich bloß eine Weile nicht gesehen, weil ich erkältet gewesen war. Einen Augenblick lang raste ich derart vor Wut, dass ich lieber einen Schritt zurücktrat und ihr den Rücken zukehrte.
HETTIE: Ist alles in Ordnung? Wie geht es dir?
ICH: Wie es mir geht? Du fragst, wie es mir geht? Hundsmiserabel. Ich bin am Boden zerstört. Was glaubst denn du?
HETTIE: Scheint ja ein nettes Häuschen zu sein. Hübsch hast du’s hier. Ist das dein Garten?
ICH: Hettie, ich wurde nur gegen Kaution freigelassen und stehe hier unter Arrest. Bald werde ich wegen tätlichen Angriffs vor Gericht gestellt. Weil ich dich »tätlich angegriffen« haben soll.
HETTIE: Ich weiß. Es tut mir so leid. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, als Hoff es bemerkt hat. Und so habe ich irgendein wirres Zeug geredet, nur, damit er endlich aufhört zu schreien.
Vor lauter Aufregung und Anspannung hatte ich vergessen, dass sie schwanger ist – dass sie unser Kind unterm Herzen trägt. Ich legte ihr meine Hand auf den Bauch – er wirkte ziemlich flach.
ICH: Du fühlst dich gar nicht schwanger an.
HETTIE: Ich hatte ja selbst keine Ahnung. Wie du weißt, hielt ich mich für unfruchtbar. Ich war davon überzeugt – ehrlich. Mir war auch kein bisschen übel. Ich hatte nicht zugenommen, es gab nicht das geringste Anzeichen. Aber dann wurden meine Brustwarzen dunkler, und das ist Udo aufgefallen, er hat mich zum Arzt gebracht. Nach der Untersuchung sagte der, ich sei im vierten Monat schwanger.
ICH: Mir sind deine Brustwarzen nie aufgefallen.
HETTIE: Weil du sie ständig vor Augen hattest. Du hast keine Veränderung bemerkt, weil sie schleichend war. Offen gesagt, habe ich sie auch nicht bemerkt. Udo hingegen hatte meine Brüste wochenlang nicht zu sehen bekommen. Es traf ihn wie ein Schock – darum hat er mich gleich zum Arzt geschleift. Und als Udo dann hörte, dass ich schwanger bin, hat er einen Tobsuchtsanfall bekommen. Darum habe ich deinen Namen ins Spiel gebracht.
ICH: Aber ich habe dich weder vergewaltigt noch tätlich angegriffen, wenn ich mich recht entsinne. Ja, wenn ich mich recht entsinne, hast du dich eher an mir vergriffen – wer hat hier wen entkleidet?
HETTIE: Ich wusste doch, dass dir so etwas gefällt.
ICH:
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